Der FC Bayern und seine Juden
die sich 1914 ganz selbstverständlich freiwillig zum Kriegsdienst meldeten«.
Zu ihnen gehört auch Bayerns Präsident Kurt Landauer. Er erlebt den Ersten Weltkrieg im Dienstgrad eines Vize-Feldwebels und stellvertretenden Offiziers. Am 23. Juli 1917 bekommt Landauer vom Königlichen Bezirkskommando II München ein Zeugnis ausgestellt, das ihn »nach seinen bürgerlichen und sonstigen Verhältnissen für würdig und geeignet zur Beförderung zum Offizier erachtet«.
Landauer-Neffe Uri Siegel: »Er war in diesem Rang beim Train (eine Art Ausbildungs- und Nachschubkompanie, d. A.), ab 1917 Leutnant bei einer Minenwerfer-Kompanie. Er nahm an Stellungskämpfen an der Somme, Kämpfen an der Aisne und an der Doppelschlacht an der Aisne-Champagne teil. Landauer erhielt den Verdienstorden 4. Klasse mit Schwertern und das EK II.«
Auch Otto Albert Beer, der spätere jüdische Jugendfunktionär des FC Bayern, ist Kriegsfreiwilliger; zuletzt dient er als Leutnant der Reserve. Ebenso Julius Hirsch, Deutschlands zweiter jüdischer Nationalspieler, der das EK II und die Bayerische Dienstauszeichnung verliehen bekommt.
Während der Krieg unter fürchterlichen Opfern auf der Stelle tritt, versucht »Kaiserjude« Albert Ballin seine Kontakte zu nutzen, um die USA vom Kriegseintritt abzuhalten und Kaiser Wilhelm II. zum Verzicht auf einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu bewegen. Beides scheitert. Am Ende des Krieges gehört Ballin zu den wenigen führenden Kräften Deutschlands, die im Ausland noch als integre Personen betrachtet werden. Auf Wunsch der Obersten Heeresleitung führt er Friedensgespräche mit England. Eben jene Herren werden später die Dolchstoßlegende strapazieren, derzufolge oppositionelle »vaterlandslose« Zivilisten in der Heimat (sprich: Sozialdemokraten) und das »internationale Judentum« die militärische Niederlage verursacht hätten. Als Albert Ballin 1918 sein diplomatisches und unternehmerisches Lebenswerk zerstört sieht, setzt er seinem Leben mit Gift ein Ende.
Urheber des »Dolchstoß«-Begriffs ist nach Recherchen des Historikers Boris Barth übrigens der spätere langjährige TSV-1860-Funk-tionär Dr. Ernst Müller-Meiningen, der am 2. November 1918 im Münchner Löwenbräukeller den zur räterepublikanischen Revolution bereiten Zuhörern entgegenruft: »Wir müssten uns vor unseren Kindern und Enkeln schämen, wenn wir der Front in den Rücken fielen und ihr den Dolchstoß versetzten.«
Eine Zählung und ihre Folgen
Die Hoffnungen der deutschen Juden werden also bitter enttäuscht. Je aussichtsloser sich das Kriegsgeschehen für die Deutschen entwickelt, desto stärker wird die Welle des Antisemitismus. 1916 ordnet das Kriegsministerium eine sogenannte Judenzählung im Heer an, angeblich um dem Vorwurf nachzugehen, die Juden drückten sich vor dem Kriegsdienst. Die für die Zählung zuständigen Beamten sind Antisemi ten, und de facto bedeutet die Aktion, dass der bisherige Burgfrieden aufgekündigt wird.
Für den Antisemitismus-Forscher Peter Pulzer trug »kein anderer Akt des Krieges mehr dazu bei, die Juden zu entfremden und an ihren Status als Stiefkinder zu erinnern«. Der Militärhistoriker Wolfram Wette sieht in der Zählung eine neue Stufe des Antisemitismus im deutschen Offizierskorps, der sich von der Kaiserzeit bis zur Zeit des Nationalsozialismus gehalten und die Verbrechen der Wehrmacht im Osten, besonders ihre Beteiligung am Holocaust, ermöglicht habe.
Unter den deutschen Soldaten, die am Krieg beteiligt waren, befanden sich rund 100.000 Juden, von denen 78 Prozent »Frontdienst« leisteten und etwa 12.000 ums Leben kamen. Mehr als 10.000 waren Freiwillige, fast 30.000 wurden ausgezeichnet, über 19.000 befördert und über 2.000 zu Offizieren ernannt.
Doch die Antisemiten lassen sich durch diese Zahlen nicht beeindrucken. In Schmähschriften wird behauptet, die Juden seien »Drückeberger« gewesen und das »jüdische Blutopfer« habe nicht seinen »pflichtgemäßen Anteil« erreicht. Gordon Craig: »Es war das tragische Dilemma der deutschen Juden, dass sie (…) die Feindseligkeit ihrer Mitbürger umso mehr entfachten, je ähnlicher sie ihnen wurden. (…) Ihre Leistungen und ihre Hingabe (brachten) ihnen nicht die erstrebte Anerkennung ein; und Wohlhabenheit und Bildung, die die Aufklärung als Schlüssel zur Integration betrachtete, nützten ihnen nichts.«
Walther Rathenau hatte bereits 1911 erkannt: »In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen
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