Der FC Bayern und seine Juden
Obrigkeitsstaates. Preuß wird anschließend auch erster Reichsinnenminister der Republik. Seine Gegner beschimpfen den in Berlin geborenen Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie als »Hugo Preuß aus Jerusalem«.
Bei der nationalistischen Rechte gelten die demokratischen Ideen der Französischen Revolution als »dem deutschen Wesen« fremd. Und dass ein Jude bei der Formulierung der Verfassung die Feder geführt hat, bestärkt sie nur in ihrer Meinung, dass es sich bei der Demokratie um eine »undeutsche« Angelegenheit handelt. Die neue Ordnung wird als »Judenrepublik« denunziert.
In München wird die »Republik-Werdung« von einer ersten antisemitischen Gewaltorgie begleitet. Im November 1918 wird auch die bayerische Metropole von revolutionären Wirren heimgesucht. Am 7. November 1918 erklärt der USPD-Politiker Kurt Eisner, ein aus Berlin stammender Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten und Intellektueller – insbesondere seine geschliffenen Nietzsche-Kritiken genießen hohe Anerkennung –, auf einer Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im Mathäserbräu die Dynastie Wittelsbach für abgesetzt und ruft die Republik Bayern als Freistaat aus.
Die Räte wählen Eisner zum ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik, der kurz darauf ein Regierungskabinett aus Mitgliedern der SPD und USPD bildet, in dem die Mehrheitssozialdemokraten die wichtigsten Ressorts besetzen. Eisners Programm ist moderat, besteht in seinem Kern aus bürgerlich-demokratischen und sozialen Zielen.
Erster Kultusminister des Freistaats wird Gustav Landauer, Vertreter eines undogmatischen Sozialismus und Anarchismus und wie sein Ministerpräsident Jude.
Die führende Rolle einiger Juden reicht vielen Münchnern, um die Revolution als »jüdisches Projekt« zu betrachten. So auch Thomas Mann, der am Tag der Revolution in seinem Tagebuch notiert: »München, wie Bayern, wird regiert von jüdischen Literaten. Wie lange wird es sich das gefallen lassen? (…) Das ist Revolution! Es handelt sich so gut wie ausschließlich um Juden.«
Aber auch große Teile der jüdischen Gemeinde begleiten die revolutionären Ereignisse mit tiefem Unbehagen. Ein Großteil der Gemeinde zählt zum bürgerlichen Milieu, ist mitnichten radikal gestimmt, denkt liberal oder konservativ. Wie die Münchner Stadthistorikerin Heike Specht schreibt, waren »nicht wenige treue Wähler der Bayerischen Volkspartei«. Die BVP war gewissermaßen eine bayerische Ausgabe der Zentrumspartei, von der sie sich vor allem in der Föderalismusfrage und durch einen noch größeren Konservativismus unterschied, und eine Interessenvertretung von Besitzbürgertum und Industrie. Bis 1933 wird die BVP Bayerns stärkste politische Partei bleiben.
Antisemitischer Furor
Münchens Fußballmacher plagen andere Sorgen. Die politische Umwälzung bedroht die Unabhängigkeit ihres Spiels. Schließlich sind die neuen Machthaber nicht gerade als Freunde des bürgerlichen Sports bekannt, sondern frönen ganz eigenen Vorstellungen.
Walther Bensemann, weiterhin häufig zu Gast in München, ersucht deshalb um eine Audienz bei Eisner, die ihm zu seiner Überraschung auch prompt gewährt wird. Dem bürgerlich-liberal gesonnenen Bensemann, der für die Sozialisten wenig übrig hat, ist der Revolutionär Eisner nicht unsympathisch. Wie Bensemann besitzt auch Eisner ein Faible für die Boheme-Kultur. Bensemann nennt ihn später »den fähigsten Kopf seiner Partei«. Der Ministerpräsident versichert dem Fußballemissär, dass die neue Regierung die Unabhängigkeit des Sports nicht anzutasten gedenke.
Wenig später erleidet das sozialistische Experiment einen schweren Rückschlag. Bei den Landtagswahlen vom 19. Januar 1919 wird die USPD vernichtend geschlagen. Nur fünf Prozent votieren für die Linkssozialisten. Am 21. Februar will Eisner seinen Rücktritt erklären. Doch auf dem Weg von seinem Amtssitz zum Landtag feuert ein Attentäter aus unmittelbarer Nähe zwei Schüsse auf Bayerns ersten Ministerpräsidenten, die ihn tödlich treffen.
Geschossen hat der völkisch-nationalistische Student Graf Anton Arco-Valley, ein mit der Absetzung der Wittelsbacher beurlaubter Leutnant des bayerischen Infanterie-Regiments. Über sein Motiv schreibt er vor der Tat: »Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist, ein guter Katholik. (…) Er (Eisner) ist Bolschewist. Er ist Jude. Er ist kein Deutscher. Er verrät das Vaterland.«
Im folgenden Chaos
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