Der FC Bayern und seine Juden
Anlage her ausschließen: einerseits die Segregation, auf der anderen Seite die Assimilation. Welche von beiden dominierte, bestimmte auch das Verhalten der nichtjüdischen gesellschaftlichen Umwelt.«
Trotz der bitteren Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, trotz Judenzählung, Dolchstoßlegende und der Ermordung von Außenminister Walter Rathenau im Juni 1922, als, wie Gordon Craig schreibt, »eine Grenze überschritten wurde und Deutschland ein neues und erschreckendes Gebiet betreten hatte, in dem Jude-Sein nicht mehr nur ein Handikap und gesellschaftlicher Nachteil war; jetzt bedeutete es Gefahr, möglicherweise für Leib und Leben«: Auch in den Weimarer Jahren dominiert unter Deutschlands Juden das Streben nach Assimilation, und ihr gesellschaftlicher Aufstieg scheint ihnen recht zu geben. In den meisten deutschen Ländern gibt es jüdische Minister, zwischen 1919 und 1924 sogar sechs Reichsminister. Viele Neuerungen im Film, im Theater, in Literatur, Malerei, Musik, Architektur und Wissenschaft verdanken sich den Berliner oder Wiener Juden.
Auch im Fußball agieren Juden als »Pioniere der Moderne«, oder, wie Adorno und Horkheimer es in ihrer »Dialektik der Aufklärung« formulieren: als »Kolonisatoren des Fortschritts«. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme sind nur ein bis zwei Prozent der ca. 500.000 deutschen Juden in exklusiv jüdischen Sportvereinen organisiert. Dies entspricht ihrer politischen und kulturellen Orientierung: Die national-jüdische Bewegung findet nur bescheidenen Zuspruch. Dagegen zählt der assimilatorisch orientierte Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1926 bereits über 60.000 Mitglieder. Seine seit 1922 erscheinende Verbandszeitung trägt den programmatischen Titel »Im deutschen Reich«.
Wo Europas Juden sportliche Erfolge erringen, tun sie dies nicht in exklusiv-jüdischen, sondern in überkonfessionellen Vereinen. Die Ausnahmen bilden der Wiener Sportklub Hakoah (»Hakoah« ist das hebräische Wort für »Kraft«), Makkabi Brünn (Brnó) und VAC (Vivo Atlètikai Club) Budapest.
Die Hakoah gehört zeitweise zu den weltbesten Vereinsmannschaften und wird 1925 Österreichs erster Profimeister. Bereits 1923 schlagen die Wiener Juden den englischen Cup-Finalisten West Ham United auf eigenem Platz sensationell mit 5:0. Der Berichterstatter der »Daily Mail« sieht eine Vorführung »wissenschaftlichen Fußballs«: »Kein Kraftfußball, kein ›kick and rush‹, dafür hatten sie nichts übrig. Dagegen kombinierten sie prächtig, ohne dem hohen Spiel zu frönen.«
Das tschechische Makkabi Brünn (Brnó) besteht in seiner Blütezeit fast ausschließlich aus Ungarn, darunter die ungarisch-jüdischen Nationalspieler Gyula Feldmann, Alexander Neufeld (ungarisch: Sándor Nemes), Ernö Schwarz, Arpád Weisz, Reszö Nikolsburger und Jószef Eisenhoffer. Letzterer ist zum Judentum konvertiert und gehört später – wie Alexander Neufeld und Ernö Schwarz – zur Meisterelf der Wiener Hakoah. Die Mannschaft, de facto eine der ersten waschechten Profitruppen auf dem Kontinent, unternimmt ausgedehnte Tourneen durch Europa und schlägt dabei Real Madrid mit 3:1. Als der Klub mit Ferenc Hirzer und Gábor Obitz auch nicht-jüdische ungarische Internationale verpflichtet, gerät er in Konflikt mit dem tschechoslowakischen Verband und muss diese Spieler wieder abgeben.
VAC Budapest hält sich in den 1920ern immerhin sechs Jahre (1921/22-1925/26) in der höchsten Liga Ungarns.
Der »Schlappe-Stinnes« und andere Mäzene
Auch in Deutschland existieren vielerorts jüdische Sport- und Turnvereine, aber in der Organisationsgeschichte des deutschen Sports sind deren Dachverbände Makkabi, VINTUS und Schild lediglich Marginalien. Und Fußball ist in den jüdischen Vereinen häufig nur eine Randsportart. Dies wird sich erst nach der nationalsozialistischen Machtübernahme und dem folgenden Ausschluss der Juden aus den »normalen« Vereinen radikal ändern.
Bis dahin erfolgt die fußballerische Aktivität ganz überwiegend in Vereinen wie dem FC Bayern München, die deshalb von ihren Gegnern zuweilen als »Judenklubs« denunziert werden, obwohl der Anteil jüdischer Mitglieder in der Regel gering ist.
Entscheidend ist nicht ihre Zahl, sondern ob sie im Klub Funktionen bekleiden und Einfluss besitzen. In den meisten Fällen sind es keine »Arbeitervereine«, sondern »bürgerliche Klubs«, in denen Juden ein Betätigungsfeld finden.
Bei Eintracht Frankfurt heißt der
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