Der FC Bayern und seine Juden
kontinentalen Fußballs zum »wohl attraktivsten europäischen Spieler seiner Zeit. Der Frauenschwarm wollte nicht nur balltechnisch, sondern auch mit sauberem Trikot glänzen. Als der Ball einmal in einer riesigen Pfütze liegen geblieben war, wartete er, bis ihn der Gegner an Land bugsiert hatte, um ihm daraufhin das Leder lässig vom Fuß zu spitzeln.«
Der 29-jährige Innenstürmer Vilmos Kertész, ein taktisch und technisch herausragender Spieler, fungiert zugleich als Kapitän der Nationalmannschaft Ungarns.
Kertész ist Jude – wie auch seine Mitspieler Jenö Konrád, dessen jüngerer Bruder Kálmán, ein dribbelstarker Innenstürmer und Torjäger (der später Trainer bei den Bayern wird), Gyula Feldmann und Jószef Braun. Im Jahr des Auftritts an der Marbachstraße wird Braun in Ungarn zum »Fußballer des Jahres« gewählt. 1924 wird er bei den Olympischen Spielen in Paris die ungarische Nationalelf als Kapitän aufs Feld führen. In den nächsten Jahren werden mit György Molnar, Béla Guttmann und Gyula Mándi weitere junge Juden im MTK-Trikot debütieren und im weiteren Verlauf ihrer Karriere als Spieler und Trainer Fußballgeschichte schreiben.
Aber im MTK-Kader stehen auch eine Reihe nicht-jüdischer Stars. Neben dem bereits erwähnten Schaffer sind dies: Goalgetter Imre Schlosser, den Richard Kirn im Jahre 1958 als »den populärsten Fußballer Ungarns aller Zeiten« preist; Péter Szabó, für das Fachblatt »Fußball« der »beste Linksaußen Mitteleuropas in den Nachkriegsjahren um 1920«; der elegante, vielseitige und torgefährliche Györgi Orth, der sich im Laufe der 1920er Jahre zu einem der herausragenden kontinentaleuropäischen Spieler entwickelt.
Wie die genannten jüdischen Akteure sind auch diese Spieler Internationale. Schlosser bestreitet 68 Länderspiele für die Magyaren, davon 31 mit der Kapitänsbinde. Sein Torausbeute ist phänomenal: Für die Nationalelf trifft er 60-mal, Statistiker ermitteln für die Gesamtzahl seiner Auftritte einen Durchschnitt von 1,31 Toren pro Begegnung.
Eine Fußball-Demonstration mit Folgen
In München streiken am Tag des großen Spiels die Buchdrucker, weshalb Bayern-Präsident Kurt Landauer pferdebespannte Wagen mit handgeschriebenen Ankündigungsplakaten durch die Straßen schickt. Die Gäste sind nicht billig, und Landauer fürchtet um die Zuschauereinnahme.
Am Ende drängeln sich um die 10.000 Zuschauer an der Marbach-straße in Sendling, die bis dahin größte Kulisse bei einem Fußballspiel in München. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« in ihrem Spielbericht: »Der MTV-Sportplatz erwies sich für dieses Treffen als zu klein. Schon um 2 Uhr standen die Zuschauer Kopf an Kopf in mehreren Reihen um den Platz, bis zum Beginn des Spiels waren die gegenüberliegenden Dächer, der Bahndamm usw., kurz jeder höherliegende Punkt besetzt.«
»Fußballkönig« Schaffer und seine Mitstreiter gewinnen souverän mit 7:1, und die »Münchner Neuesten Nachrichten« schwärmen: »Die Gäste entwickelten eine wunderbare Spieltechnik, ihre Spielstärke ist in jeder Hinsicht vorbildlich. Ungemein schnell im Lauf und in der Ballbehandlung, einzig im Ballabnehmen mit systematischem Ballverteilen bei gut ausgeprägtem Flügelspiel, vornehm in jeder Lage, stellte sich hier dem Münchener Vertreter ein Gegner, der den Sieg vollauf verdiente. Die Stürmer sind ungemein gefährlich, man weiß nicht, soll man die Außenstürmer mit ihren schnellen Läufen und prächtigen Flanken, oder das Innentrio, in dem neben dem sechzigfachen Internationalen Schlosser noch ganz besonders der Mittelstürmer Schaffer hervorsticht, loben. (…) Der Münchener Fußballsport ist der Massensport der Münchener Bevölkerung. Der FA (Fußballabteilung, d.A.) Bayern aber dankt die ganze Münchener Bevölkerung für die Schaffung dieses echten Werbespiels, das auch in den Eintrittspreisen solchen und nicht geschäftlichen Charakter trug.«
MTKs beeindruckende Demonstration wird nicht ohne Folgen bleiben. Der FC Bayern bemüht sich nun intensiv darum, die Schule des »Donaufußballs« zu durchlaufen, wozu auch die Verpflichtung entsprechender Lehrer gehört.
1920 ist der MTK Budapest erneut auf Tournee, und Walther Bensemann lässt seiner Begeisterung in der ersten Ausgabe des »Kicker« freien Lauf: »Alle diejenigen, welche den M.T.K. auf seiner Tournee haben spielen sehen, werden begriffen haben, dass es zurzeit keinen kontinentalen Verein gibt, der der Spielstärke der englischen
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