Der FC Bayern und seine Juden
Vorschrift des Republikschutzgesetzes ihrem Sinn und ihrer Zweckbestimmung nach keine Anwendung finden« kann.
Am 6. April 1924, wenige Tage nach Hitlers Haftantritt, wird der Bayerische Landtag gewählt. Sämtliche demokratischen Parteien erleiden Verluste, insbesondere die liberale DDP, die zehn ihrer bis dahin 13 Sitze verliert. Hingegen kann der aus Nationalsozialisten und völkischen Sympathisanten geschmiedete Völkische Block die Zahl seiner Abgeordneten von zwei auf 23 erhöhen. Bereits am 20. Dezember 1924 ist Adolf Hitler wieder ein freier Mann und kehrt auf Münchens Straßen zurück.
»Nicht nur, dass die Münchener Juden Adolf Hitler und andere Nazi-Funktionäre quasi als Nachbarn ertragen mussten – der zukünftige ›Führer‹ im braunen Mantel und mit seinem Schäferhund an der Leine gehörte zum Leidwesen vieler ab Mitte der zwanziger Jahre zum Straßenbild – man musste auch mit ansehen, wie die SA die Plätze der Stadt als Aufmarschgebiet benutzte, darauf erpicht, aus ihr die ›Hauptstadt der Bewegung‹ zu machen.« (Heike Specht)
Zur Hochburg des lokalen Antisemitismus gerät die Universität, wo bereits Mitte der 1920er Jahre die Präsenz von Juden, ob als Lehrende oder Lernende, ganz offen infrage gestellt wird. An der »Zweiten Philosophischen Fakultät« der Ludwig-Maximilian-Universität kommt es seit dem Hitler-Putsch zu antisemitischen Aktionen gegen den Chemiker Richard Willstätter, dem 1915 für seine »Untersuchungen der Farbstoffe im Pflanzenreich, vor allem des Chlorophylls« der Nobelpreis verliehen wurde. 1925 schlägt Willstätter für einen frei werdenden Posten den Osloer Wissenschaftler Viktor Moritz Goldschmidt vor. Doch das Kollegium votiert mehrheitlich gegen Goldschmidt, denn der Kandidat ist wie Willstätter Jude. Willstätter gibt seine Professur ab. Einigen Kollegen wirft er vor, sie würden antisemitischen Erwägungen ein höheres Gewicht einräumen als wissenschaftlichen Leistungen. Ohne Professur setzt er seine Forschungstätigkeit an der Uni München fort, auch noch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. Am 4. März 1939 wird er in Schweiz emigrieren, wo er in der chemischen Industrie, bei Sandoz in Basel, arbeitet.
Bereits Mitte der 1920er Jahre sind mehr und mehr Intellektuelle, Schriftsteller, Schauspieler und Regisseure der sich radikalisierenden Atmosphäre überdrüssig und verlassen München, das sie »jahrzehntelang (…) wegen seiner Offenheit und Hochschätzung der Kunst so geliebt hatten« (Heike Specht). Bertolt Brecht zieht 1925 nach Berlin, Lion Feuchtwanger, Sohn eines jüdisch-orthodoxen Margarinefabrikanten, und seine Frau Maria folgen ihm wenig später. 1928 wählt auch Heinrich Mann die Reichshauptstadt zum neuen Wohnsitz.
Thomas Mann, der bis 1933 in München bleibt, gehört zu den Ersten, die vor rechtsradikalen Tendenzen in Schwabings Schickeria warnen. Denn auch das einst so liberale Schwabing wird vom Antisemitismus durchdrungen. Mitte der 1920er ist die NSDAP-Sektion Schwabing die stärkste in der Stadt. Nicht von ungefähr eröffnet Hitler seine Parteizentrale (das »Braune Haus«) in der Briennerstraße in der Maxvorstadt (zuvor saß die Partei in der Schellingstraße).
In seinem 1930 erscheinenden Roman »Erfolg«, einem Porträt Münchens der 1920er, beschreibt Lion Feuchtwanger den Wandel seiner Heimatstadt seit dem Ersten Weltkrieg: »Früher hat die schöne, behagliche Stadt die besten Köpfe des Reiches angezogen. Wie kam es, dass die jetzt fort waren, dass an ihrer Stelle alles, was faul und schlecht war im Reich und sich anderswo nicht halten konnte, magisch angezogen nach München flüchtete?«
Der FC Bayern mit seinem jüdischen Präsidenten erscheint in diesen Jahren fast wie ein Fels in einer anschwellenden antisemitischen und antiliberalen Brandung.
Kapitel 4
Ungarn in München
Keine der vielen internationalen Begegnungen, die der FC Bayern in den Jahren der Weimarer Republik bestreitet, ist von so großer, ja geradezu schicksalhafter Bedeutung und Nachhaltigkeit wie der Besuch von MTK Budapest am 27. Juli 1919.
MTK (Magyar Testgyakorlók Köre) gilt bis heute als »jüdischster« Profiklub Europas. Viele der MTK-Väter waren bürgerliche Juden, Kaufleute und akademische Selbstständige. Ihre Vision: ein von Diskriminierung freier Sportklub, in dem jeder die Chance besitzt, seine Disziplin auf höchstem Niveau zu betreiben. 1905 wurde der Jude Alfréd Brüll, ein Pionier des ungarischen
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