Der FC Bayern und seine Juden
Ligavereine so nahe kommt. (…) Die Klasse der Ungarn ist blendend. (…) Schottisches Ligaspiel mit allen seinen Finessen und seiner akkuraten Ballbehandlung.«
Auch MTK-Boss Alfréd Brüll hat es Bensemann angetan. So berichtet der Journalist von einem Bankett, das der Karlsruher Fußballclub Phönix nach einer 0:12-Klatsche gegen die Ungarn gab: »Die Teilnehmer am Bankett des K.F.C. Phönix, Karlsruhe, zu Ehren des M.T.K., Budapest, werden die Rede des Präsidenten der Ungarn, Herrn Brüll, so bald nicht vergessen. Sie war meisterhaft und in einem Deutsch gehalten, das die ungarische Abstammung des bekannten Sportmäcens nicht verriet.«
Die Genfer Tageszeitung »La Suisse« schwärmt nach einem Auftritt der Ungarn in Zürich: »Der M.T.K. hat ein konkurrenzloses Spiel, sowohl was Technik, wie auch Schnelligkeit betrifft, vorgeführt, ein Spiel, das die zahlreichen Zuschauer lebhaft impressionierte.«
Profis und Antisemiten
Der Auftritt an der Marbachstraße ist einer der letzten dieser MTK-Formation. Am 1. August 1919, vier Tage nach dem Besuch Münchens, ist auch in Ungarn das rätekommunistische Experiment beendet. Revolutionsführer Béla Kun, der einer in einfachen Verhältnissen lebenden jüdischen Familie Siebenbürgens entstammt, flüchtet zunächst nach Österreich und geht von dort in die Sowjetunion, wo er für die Komintern arbeitet. 1939 wird Kun im Rahmen der stalinistischen »Säuberungen« in der UdSSR ermordet. Mit den Fußballtrainern Richard Dombi und Fritz Kerr hat Kun gemeinsam, dass er als »Kohn« geboren wurde.
Wie in München, so wird auch in Budapest das Ende der Räterepublik von einem antisemitischen Furor begleitet. Als Vorwand dient, dass 161 von 203 ihrer höchsten Amtsinhaber Juden gewesen sind. Als Verlierer des Ersten Weltkriegs musste auch Ungarn Gebiete abtreten. Das Land verlor zwei Drittel seines Territoriums und drei Fünftel seiner Bevölkerung. Wie in Deutschland machte man auch in Ungarn die Juden dafür verantwortlich.
Nach der Niederschlagung der Räterepublik rufen die Antisemiten zum Kampf gegen die »Judäo-Bolschewisten« auf. Etwa 3.000 Juden werden Opfer des »weißen Terrors«. Die meisten von ihnen haben mit der Rätebewegung nichts zu tun. Am 16. November 1919 übernimmt der rechtsgerichtete Admiral Miklós Horthy mit der Armee die politische Macht. Horthy gilt als »moderater Antisemit«, aber mit seiner Machtübernahme wird der Antisemitismus zur offiziellen Politik.
Dass sich einige jüdische MTK-Akteure in dieser politischen Atmosphäre nicht mehr heimisch fühlen, liegt auf der Hand. Jenö Kon-rád und sein Bruder Kálmán wechseln zu den Wiener Amateuren, der späteren Austria. Eingefädelt wird der Transfer von Hugo Meisl, dem neuen Sektionsleiter der Amateure. Der Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie aus dem böhmischen Maleschau fungiert auch als Verbandskapitän der österreichischen Nationalmannschaft und wird mit ihr noch Geschichte schreiben.
Jenö Konrád, extrem sprachgewandt (er beherrscht sechs Sprachen) und außerordentlich belesen, erhält beim Wechsel eine Bankanstellung mit »todsicheren Nebenverdiensten« – eine Jahreskarte für die Wiener Börse, die er von einem jüdischen Gönner der Amateure bekommt. Auch Bruder Kálmán, im späteren Leben ein Opern- und Operettenfreund, kommt in den Genuss einer Jahreskarte für die Wiener Börse. Kálmán Konrád betätigt sich als Spekulant und lässt in seinen Reisepass als Berufsbezeichnung »Fußballer« eintragen. Die Brüder besitzen außerdem ein Lichtspieltheater in Berlin. Ganz im Gegensatz zum Namen ihres neuen Vereins sind die beiden also waschechte Profis.
In Wien war der Professionalismus – wenngleich auch hier noch nicht offiziell – bereits weiter gediehen als in Deutschland oder Ungarn. Nicht nur Hugo Meisls Amateure bedienen sich am ungarischen Spielerpotenzial, sondern auch der WAC und der national-jüdische SK Hakoah, der u.a. Alexander Neufeld alias Sándor Nemes und Béla Guttmann an Land zieht.
Alfréd Schaffer und Péter Szabó dagegen heuern nach der Deutschland-Tournee beim 1. FC Nürnberg an. Nach ihrer Ankunft in der Frankenstadt werden Schaffer und Szabó erst einmal von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Zwischenzeitlich kursiert das Gerücht, der DFB wolle Schaffer zum »Profi« erklären, was den Entzug der Spielerlaubnis bedeutet hätte.
Die Fan-Seite » glubberer.de « mutmaßt über Schaffers Gründe, der Heimat den Rücken zu kehren:
Weitere Kostenlose Bücher