Der FC Bayern und seine Juden
schönsten spielende deutsche Elf« feiern.
Mit der englisch geprägten Fußballphilosophie von Reichstrainer Dr. Otto Nerz können die Bayern-Spieler nicht viel anfangen. Nationalspieler Sigmund Haringer: »Uns Bayern behagte damals das neue Nerz’sche System nicht. Wir wollten spielen, stürmen, nicht Fußball rackern oder arbeiten.«
München wird nun zur Bühne eines fußballerischen Kulturtransfers. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme werden die Bayern von Übungsleitern betreut, die sich dem schottischen Flach- und Kurzpassspiel bzw. den Fußballschulen Budapests und Wien verpflichtet fühlen. Vier von ihnen – Izidor »Dori« Kürschner, Leo Weisz, Kálmán Konrád und Richard »Little« Dombi – sind Ex-MTKler und Juden.
Den Anfang macht Izidor »Dori« Kürschner, der 1921 als Nachfolger von William Townley zu den Bayern kommt. Im Sommer 1919 war Kürschner in Deutschland geblieben und hatte zunächst die Stuttgarter Kickers trainiert. Als in der Saison 1920/21 die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft angepfiffen wird, wechselt der Ungar zum 1. FC Nürnberg. Mit Kürschner holen die Franken ihren zweiten Meistertitel, im Finale schlägt man Vorwärts 90 Berlin mit 5:0. Beim FC Bayern reicht es mit Kürschner 1921/22 nur zum zweiten Platz in der südbayerischen Liga, und zur Endrunde zur Deutschen Meisterschaft ist Bayerns erster jüdischer Trainer zurück im Frankenland.
Derartige Wechsel während der Saison waren keineswegs ungewöhnlich, denn für Mannschaften, die die regionale Endrunde nicht erreichten, war das Pflichtspielprogramm bereits Monate vor Saisonschluss beendet. Es war dann schlicht zu teuer, den Trainer weiterzubeschäftigen. Kürschner führt den 1. FC Nürnberg erneut ins Finale, das ohne Sieger endet und als »ewiges Endspiel« in die Annalen eingeht.
»Dori« Kürschner, ein enger Freund Walther Bensemanns, wird weiter erfolgreich als Trainer arbeiten. Gemeinsam mit Jimmy Hogan und dessen Landsmann Teddy Duckworth wird er die Schweizer Fußballer auf das olympische Turnier 1924 in Paris vorbereiten. Dort erreicht die Nati das Finale und lässt sich nach einer 0:3-Niederlage gegen Uruguay als »erster Europameister« feiern. Mit dem Grass-hopper-Club Zürich, der unter seiner Leitung zu einer der stärksten Mannschaften auf dem Kontinent avanciert, gewinnt Kürschner im Zeitraum von 1925 bis 1934 dreimal die Meisterschaft und viermal den Pokal.
In München ist inzwischen Jim McPherson eingetroffen. Der Trainer kommt aus Schottland, dem Land, das für sich das Urheberrecht in Sachen Flach- und Kurzpasses reklamiert und bei der Entwicklung des Donaufußballs Pate stand.
Als es mit McPherson zunächst nicht nach Wunsch läuft – Anfang Januar 1925 schließen die Bayern die Bezirksliga nur mit einem vierten Platz ab –, bemüht sich Kurt Landauer um den Ex-MTKler (und »Nicht-Juden«) Imre Pozsonyi. Dieser war an gleich zwei Premieren beteiligt gewesen: als Spieler beim ersten Auftritt einer ungarischen Nationalelf am 13. Oktober 1902 in Wien und als Trainer beim ersten Auftritt einer polnischen Nationalelf am 18. Dezember 1921 in Budapest. Zum Zeitpunkt der Landauer-Bemühungen führt Pozsonyi beim FC Barcelona das Kommando, mit dem er in der Saison 1924/25 die katalanische Meisterschaft und den spanischen Pokal gewinnt. Pozsonyi sagt ab und entscheidet sich für ein Angebot des DFC Prag. Zum Bedauern von Walther Bensemann, da der Ungar »nicht nur Sportlehrer, sondern auch ein vollendeter Küchenchef« sei.
So arbeitet der FC Bayern mit McPherson weiter und dies mit Erfolg. Unter dem Schotten erringt der Klub 1926 seinen ersten süddeutschen Meistertitel. Auf McPherson folgt 1927 Leo Weisz, der zuvor Schwaben Augsburg und Wacker München betreut hat. Mit Weisz gewinnt der FC Bayern 1928 seine zweite süddeutsche Meisterschaft.
Kálmán Konrád trainiert die Bayern nur kurz. Den nachhaltigsten Eindruck wird ohnehin Richard »Little« Dombi hinterlassen, der den FC Bayern im Sommer 1930 übernimmt. Er wird den Verein in die Spitze des deutschen Vereinsfußballs führen.
Kapitel 5
Ideologen kontra Pragmatiker
In der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des »Kavaliersklubs« FC Bayern München fand sich im Jahr 1925 folgende bemerkenswerte Feststellung: »Heute denkt man ja bei uns ganz anders und erblickt im Sport ein Allgemeingut aller Bevölkerungsschichten. Jedermann, der sich anständig zu benehmen weiß, ist, ob Arbeiter oder Student, für uns als Sportmann
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