Der FC Bayern und seine Juden
Zeilen: »Als Spieler ein großes Talent – aber als Charakter? Über einen Vaterlandsverräter geht man mit Verachtung hinweg.« Im Elsass hingegen genießt Oskar Rohr bald ungeheure Popularität, denn der Torjäger schlägt bei Racing voll ein. In seiner ersten Saison 1934/35 erzielt der 22-Jährige in 22 Spielen 20 Tore und schießt seinen Arbeitgeber zur Vizemeisterschaft. Auch die Straßburger Damenwelt liegt ihm zu Füßen.
An Rohrs Seite stürmt eine weitere Neuerwerbung: der 20-jährige Oscar Heisserer, ein waschechter Elsässer, der seine Karriere beim FC Bischwiller begann und 1936 französischer Nationalspieler wird. In der Spielzeit 1935/36 trifft Rohr für Racing in 28 Spielen 28-mal, Platz zwei in der torjägerliste der Liga. Heisserer, der als Stürmer auf Halblinks oder als Außenläufer spielt, bringt es auf 13 Tore.
Durch die Person Oskar Rohr bekommen die Freundschaftsspiele zwischen den Bayern und dem Racing Club eine gewisse Brisanz. In München trennt man sich im Juni 1935 vor 8.000 Zuschauern 4:4. Wilhelm Simetsreiter bringt die Hausherren in Führung, Rohr gleicht aus. Anschließend ziehen die Elsässer durch zwei Tore von Keller auf 3:1 davon. Bergmeier, Simetsreiter und Schneider drehen den Spieß noch einmal um und schießen eine 4:3-Führung heraus. Aber den Schlusspunkt setzt erneut Keller mit seinem Ausgleichstreffer zum 4:4. Am 1. Januar 1936 gewinnen die Bayern beim Racing Club mit 4:2, eines der beiden Gegentore erzielt Oscar Heisserer.
Während die Bayern aber fortan ins spielerische Mittelmaß abdriften, wird ihr ehemaliger Goalgetter seine Qualitäten in Frankreich zunächst weiter unter Beweis stellen. In der Saison 1936/37 holt er mit 30 Treffern die Torjägerkanone der Liga. Am Ende der Spielzeit stehen Rohr und sein Freund und Sturmkollege Heisserer auch noch im französischen Pokalfinale, in dem Racing dem Renault-Klub FC Sochaux knapp unterliegt (1:2). Nach der Besetzung Frankreichs im Weltkrieg wird Heisserer, da seine elsässische Heimat nun für »deutsch« erklärt wurde, von Reichstrainer Herberger zur Nationalmannschaft eingeladen; er lehnt jedoch ab und flüchtet später in die Schweiz.
Skandal in Rom
Als am 28. Juni 1939 die AS Rom ein weiteres Mal in München gastiert, ist Renato Sacerdoti, der »Bankier von Testaccio«, nicht mehr dabei. Seine Präsidentschaft ist seit 1935 beendet, und wenige Monate nach seinem Abschied muss sich Sacerdoti wegen »illegaler Währungstransaktionen« verantworten und wird von den Faschisten interniert.
Dabei geht es um die sogenannten Oriundi, Spieler aus Südamerika, die auf italienische Vorfahren verweisen und deshalb die italienische Staatsbürgerschaft beanspruchen können. Diese wird von den faschistischen Behörden zunächst bereitwillig gewährt – man will schließlich die Squadra Azzurra stärken. Aus Sicht des Staates war es dabei gleich, ob der Spieler noch auf italienischem Boden zur Welt gekommen war oder erst in Südamerika das Licht der Welt erblickte. Auch Sacerdotis AS Rom bedient sich der Oriundi, mit deren Hilfe sich kompensieren lässt, dass seit 1926 die Verpflichtung ausländischer Spieler verboten ist. Österreichische und ungarische Legionäre verschwanden danach aus Italien.
1933 holt die AS Rom den Rechtsaußen Enrique Guaita von Estudiantes de La Plata. »Il Corsaro Nero« (Der schwarze Korsar), wie man Guaita aufgrund der damals noch schwarzen Roma-Trikots tauft, wird im Sommer 1934 mit Italien Weltmeister und in der Saison 1934/35 Torschützenkönig der Serie A.
In der zweiten Hälfte der 1930er geraten die Oriundi zusehends in Misskredit, da man ihren Patriotismus und ihr »Italienertum« anzweifelt. Im Sommer 1935 erhält Guaita die Einberufung zum Militär und befürchtet einen Kampfeinsatz im italienisch-äthiopischen Krieg. Er flüchtet zunächst mit zwei weiteren Roma-Oriundi, Alessandro Scopelli und Andrea Stagnaro, nach Frankreich und kehrt von dort nach Argentinien zurück. Dort streift er 1937 noch einmal das Trikot der Albiceleste über. Auch Raimundo Orsi, ein weiterer Weltmeister von 1934, zuvor von FIAT-Boss Umberto Agnelli für das 15-fache Gehalt eines Grundschullehrers zu Juventus Turin gelockt, entzieht sich dem Militärdienst und flüchtet nach Südamerika, wo er noch für Penarol Montevideo und Flamengo Rio de Janeiro spielt. Die Flucht der vier Spieler gerät zum nationalen Skandal, das faschistische Regime beschimpft sie als Feiglinge, Diebe und Schmuggler. AS-Präsident
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