Der FC Bayern und seine Juden
Katholiken und Protestanten. Uns unterscheidet, so sagten sie, nichts als unser Glaube. Der Glaube aber – das muss gesagt werden – ist nicht das ganze Judentum. Den deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens begegnen Sie seit 1933, spätestens seit 1945 kaum noch. Wir sagen heute: Wir wurden als Juden verfolgt, da können wir nicht so tun, als seien wir immer Deutsche gewesen.« Die jüdischen Rückkehrer sind überwiegend ältere Menschen, die an ihrer Heimat hängen und nicht mehr die Kraft aufbringen, am Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina mitzuwirken.
Es ist kein freundliches Land, in das die Emigranten zurückkehren. Die Einsicht, dass den Juden großes Unrecht geschehen ist, wird noch viele Jahre benötigen. Der Holocaust hat nur einen leichten Rückgang antisemitischer Attitüden bewirkt. 1949 äußern 70 Prozent der befragten Bundesbürger, dass sie keine Juden heiraten würden. Und 1952 erklären 52 Prozent, dass nach ihrer Meinung noch immer »zu viele Juden« im Land seien. »Zu viele Juden«, das sind in jenem Jahr 16.186 registrierte Juden, davon 4.568 in Berlin.
Im Laufe der 1950er und 1960er Jahre wird der Antisemitismus deutlich abnehmen. Aber 1974 vertreten noch immerhin 28 Prozent die Meinung, dass die Juden »wegen der Ermordung Jesu heute von Gott bestraft« würden, und 60 Prozent behaupten, die Juden hätten »zu viel Macht im Geschäftsleben«.
Die Rückkehr der Demokraten
Seit dem 4. Mai 1945 heißt Münchens Oberbürgermeister wieder Dr. Karl Scharnagl, eingesetzt von den US-Streitkräften. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 war er im KZ Dachau interniert worden.
Am 1. August 1945 erklärt Karl Scharnagl in seiner ersten Rede vor dem von der Besatzungsmacht eingesetzten Münchner Stadtrat: »Wir können uns nicht scharf genug trennen von allen jenen, die durch ihre Mitarbeit in mehr oder minder großem Maße die NSDAP hochgebracht und ihr verbrecherisches Treiben so viele Jahre hindurch gestützt haben. Wir wollen keine Hass- und Vergeltungspolitik betreiben; wir wollen und müssen aber verhindern, dass auch nur Reste dieser verkommenen Anschauung gewissenloser Elemente in unserer Bevölkerung und vor allem im öffentlichen Leben bestehen können.«
Karl Scharnagl ernennt den Sozialdemokraten Thomas Wimmer zunächst zum dritten Bürgermeister und im Dezember 1945 zum zweiten Bürgermeister. Die früheren politischen Gegner Scharnagl und Wimmer hatten sich im KZ Dachau schätzen gelernt.
Scharnagl gehört auch zu den Motoren der Gründung der Christlich-Sozialen Union (CSU), deren christlich-liberalen Flügel er repräsentiert. Bei den Kommunalwahlen vom 20. Mai 1946 gewinnt seine Partei 20 Sitze, drei mehr als die zweitplatzierten Sozialdemokraten. Eine Wahl später, am 30. Mai 1948, hat dann erstmals die SPD die Nase vorn, und Thomas Wimmer wird neuer Oberbürgermeister. Karl Scharnagl dient seinem Vorgänger noch ein Jahr als zweiter Bürgermeister. Wimmer avanciert zur treibenden Kraft und Symbolfigur des Münchner Wiederaufbaus.
Verstärkung aus Wien
Mit Karl Scharnagls Rückkehr und dem demokratischen Neuanfang wittert der FC Bayern seine Chance. Nur eine Woche nach der Kapitulation trifft beim Oberbürgermeister ein Schreiben des Klubs ein, in dem dieser verdeutlicht, auf welcher Seite er stand und steht. Der FC Bayern schwört dem Stadtoberhaupt, »treu und bedingungslos beim Aufbau der Demokratie Folgschaft zu leisten«. Und vergisst dabei nicht zu erwähnen, »dass wir als ›Judenklub‹, der es ablehnte, sich eine nationalsozialistische Vereinsführung aufzwingen zu lassen, mit allen Mitteln gedrückt wurden«.
Dabei existiert der FC Bayern zunächst nur als Mannschaft. Die tritt bereits im Juni 1945, nach einer Spielpause von nur zwei Monaten, wieder zu Freundschaftsspielen an. Am 24. Und 26. Juni spielt man an der Kindlerstraße bzw. auf dem Platz der Hypo-Bank gegen den FC Wacker. Da die US-Militärbehörden über die erste Begegnung nicht informiert wurden, wird Bayerns Xaver Heilmannseder, der die Spiele organisiert hat, von der amerikanischen Militärpolizei festgenommen. Auf Intervention des neuen Polizeipräsidenten von Seisser lässt man ihn nach 48 Stunden wieder laufen.
Das erste Nachkriegs-Derby zwischen FC Bayern und TSV 1860 steigt am 26. August 1945 vor 12.000 Zuschauern im zerstörten Stadion an der Grünwalder Straße. Die Bayern gewinnen 4:0. Die Einnahmen werden den Verfolgten des Nazi-Regimes gespendet.
Nur langsam
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