Der FC Bayern und seine Juden
Leinen in der Dienerstraße 22. Die Firma wurde am 15. September 1938 abgemeldet. Da Heinrich Raff mit der Katholikin Frieda Taubensberger verheiratet war, schützt ihn die »Mischehe« zunächst vor der Deportation. Aber das Ehepaar kommt bei den Fliegerangriffen auf München am 12. Juli 1944 ums Leben. Bruder und Firmenmitinhaber Bernhard kann im Juli 1939 nach England emigrieren und geht von dort später in die USA.
Unklar bleibt das Schicksal des mit einer katholischen Ehefrau verheiratete jüdischen Kaufmannes Siegfried Weisenbeck, der am 20. Juni 1938 in Großhesselohe, Gemeinde Pullach, stirbt. Der Sterbeort lädt zu Spekulationen ein.
1857 wurde bei Großhesselohe eine Eisenbahnbrücke über dem Isartal eingeweiht, zu diesem Zeitpunkt nach der Götzschtalbrücke die zweithöchste der Welt. 1978 schrieb der »Münchener Merkur«, dass sich seit 1872 über 300 Menschen von der Brücke gestürzt hätten. 1996 widmet auch der »Spiegel« der Brücke einen Artikel: »Ort fürs Lebensende« lautete die Überschrift. »Seit mehr als einem Jahrhundert zieht die Grosshesseloher Isar-Brücke Selbstmörder zum Sprung an.« Der Verdacht liegt nahe, dass sich auch der Münchner Jude Siegfried Weisenbeck in Großhesselohe das Leben nahm. Verifizieren ließ sich dies aber nicht.
Nichts bekannt ist über Heinrich Reitlinger, der in der 50-Jahre-Festschrift des FC Bayern ebenfalls als Opfer des Nationalsozialismus aufgeführt wird. In München gab es sowohl »jüdische« wie »christliche« Reitlingers.
Widerstandskämpfer Willy Buisson
Der vermutlich einzige Nicht-Jude unter den NS-Opfern, die der FC Bayern unter seinen Mitgliedern verzeichnen musste, war Wilhelm »Willy« Buisson. Ihn haben die Nazis als aktiven Sozialdemokraten und Widerständler hingerichtet.
Buisson war Apotheker und ein Aktivist der »Auer-Garde«. 1919 hatte der führende bayerische SPD-Mann Erhard Auer diese nach ihm benannte Garde ins Leben gerufen. Vorausgegangen waren die Ermordung von Kurt Eisner und ein gescheitertes Attentat auf Auer. Nach einem weiteren Attentatsversuch auf Auer und der Ermordung Walther Rathenaus wurde die Garde ausgebaut und Willy Buisson ihr militärischer Leiter. In München zählte die Organisation ca. 2.000 Mann. Ihre leicht bewaffneten Einheiten wollten der Polizei gegen rechte Ge walt zur Seite stehen, was aber von der bayerischen Regierung strikt abgelehnt wurde.
Nachdem Bayerns Generalstaatskommissar Gustav von Kahr alle linken Selbstschutzorganisationen verboten hatte, wurde die Auer-Garde in das reichsweit gegründete »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold« eingegliedert. Das »Reichsbanner« war am 22. Februar 1924 von Mitgliedern der SPD, des Zentrums und der DDP als Reaktion auf den Hitler-/Ludendorff-Putsch und den (linken) »Hamburger Aufstand« gegründet worden, als »überparteiliche Schutzorganisation der Republik und der Demokratie im Kampf gegen Hakenkreuz und Sowjetstern« (Otto Hörsing). Seitens der DDP gehörten dem Reichsbanner u.a. die späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss und Gustav Heinemann an, ebenso Hugo Preuß, der Vater der Weimarer Verfassung, sowie der mit einer Jüdin verheiratete Thomas Dehler, der nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Mitbegründern der FDP in Bayern gehören und später ihr Landesvorsitzender wird. Buisson wurde ein führender Funktionär des Münchner »Reichsbanners«.
Im August 1933 lässt sich Willy Buisson in Neuern/Nyrsko im tschechischen Grenzgebiet nieder. Von dort arbeitet er im Auftrag der Exil-SPD (Sopade), die bis 1939 ihr Hauptquartier in Prag hat, mit illegalen Widerstandsgruppen in Bayern zusammen. Sein Versuch, einen Schwarzsender aufzubauen, bleibt allerdings erfolglos. Im März 1938 wird Buisson an der deutsch-österreichischen Grenze von der Polizei verhaftet. Der Volksgerichtshof in Berlin verurteilt ihn am 27. April 1940 wegen »Landesverrats« und »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode. Am 6. September 1940 wird das Urteil vollstreckt.
Kapitel 11
Heimkehrer und Abschiede
Am 30. August 1945 findet man auf dem Bahnhof von Prien am Chiemsee (ca. 70 km von München entfernt) in einem Zug die Leiche eines Mannes. Anhand seiner Papiere wird der Tote als Alfréd Schaffer identifiziert. Ein Fußballanhänger klärt die Anwesenden darüber auf, dass es sich um den »Fußballkönig« handelt. Die genauen Umstände seines Todes bleiben ein Rätsel, denn in den Wirren der Nachkriegsmonate wird keine Obduktion vorgenommen. Die Vermutung lautet
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