Der Fehler des Colonels
das Ding.«
Wie es hieß, hatte Mark nicht gewusst, aber die Bilder hatte er schon überall gesehen: auf Postkarten, auf Werbeplakaten am Flughafen, sogar auf der Speisekarte des Roomservice, von der Bowlan gerade etwas bestellt hatte. Es war ein gewaltiges Ding, geformt wie der geblähte Spinnaker einer arabischen Dhau, die vom Persischen Golf hereinsegelt. Dubais Version des Eiffelturms.
Der Chauffeur öffnete den Wagenschlag und die Zielperson stieg ein.
»Das Burj hat zwölf von diesen Karren, alle weiß, wie dieser. Die Russenmafia und Leute, die noch nie in Dubai waren und es nicht besser wissen, fahren drauf ab. Wenn man die Stadt wirklich kennt, steigt man in einem der exklusiveren Hotels in Jumeirah ab. Und hast du den schwarzen Anzug gesehen, den er trägt? Niemand, der schon eine Weile hier ist, trägt so einen Anzug, wenn es dreiundvierzig Grad im Schatten hat. Der ist ein Fisch auf dem Trockenen. Ich wette zehn zu eins, dass wir den drankriegen.«
»Wenn er kein Einheimischer ist, arbeitet er vielleicht nicht mal für Doha. Er könnte ein Kunde sein.«
»Er ist gerade aus dem Hauptbüro gekommen. Also kann er uns zumindest sagen, wer die Drahtzieher sind.«
»Hast du das mitgekriegt?«, fragte Mark, der übers Handy mit Daria sprach, während der Rolls Royce anfuhr.
»Mach dir nicht die Mühe, ihn zu verfolgen«, meinte Bowlan. »Den Weg zum Burj kann ich dir auch beschreiben. Früher oder später taucht er dort auf.«
»Schwing die Hufe, damit du vor ihm dort bist«, sagte Mark. »Und finde seinen Namen und seine Zimmernummer raus, wenn möglich.«
56
Daria nahm einen Schluck von ihrem Cranberry Cosmo und nahm die Zielperson ins Visier.
Er hatte kurzes Haar, graue Schläfen. Glatt rasiert. Randlose Brille und ein goldener Ehering. Wahrscheinlich über fünfzig. Ein Cognacglas stand vor ihm, aber er rührte es kaum an. Die Handbewegungen, mit denen er am Computer arbeitete, während er eine Mahlzeit zu sich nahm, waren präzise und schnell.
Daria saß an der Bar – in seiner Blickrichtung –, aber er konzentrierte sich auf seine Arbeit, seine Augen huschten immer wieder über den Bildschirm. Und das, obwohl Daria – wie sie sehr wohl wusste – schrecklich gut aussah in dem schwarzen Cocktailkleid, das sie gerade für sechshundert Dollar in einer Boutique im Erdgeschoss gekauft hatte.
Wieder trank sie von ihrem Cosmo. Das übergroße Glas war mit rotem Zucker umrandet und das süße, nach Limetten duftende Mixgetränk darin schmeckte so köstlich, dass es beinah die dreißig Dollar rechtfertigte, die sie dafür bezahlt hatte. Und dann war da der Ausblick – das Restaurant befand sich im obersten Stockwerk des Burj und wurde von Panoramafenstern gesäumt. Draußen war Dubai in das rosafarbene Licht der untergehenden Sonne getaucht: die hoch aufragenden Wolkenkratzer, das palmenförmige Island Resort vor der Küste, die weißen Strände des Persischen Golfs …
In einer Ecke des Raums unter einer gelb-rot-blau-getüpfelten Decke spielte eine Live-Band aus Oman eine schlechte Reggae-Version von »Karma Chameleon«.
Als ein junger Araber Daria anbaggern wollte, ließ sie ihn abblitzen, aber unwillkürlich dachte sie an Mark, und wie nett es wäre, in einem anderen Leben, einen Karneval wie Dubai mit ihm gemeinsam zu erleben.Aber der Tagtraum weckte bald Schuldgefühle, also zwang sie sich, über schlimme Dinge nachzugrübeln, wie Astara und das Trudeau House.
Diese Gedanken führten sie zu ihrem Hass auf die Mullahs im Iran. Und das wiederum brachte sie dazu, zum millionsten Mal zu überlegen, ob die Stoßtruppen der Revolutionsgarde vor all den Jahren ihre Mutter tatsächlich vergewaltigt hatten, bevor sie sie umbrachten. Ihr Onkel hatte ihr, nach einem Glas Wein zu viel, von seiner Befürchtung erzählt. Schließlich war Vergewaltigung damals an der Tagesordnung gewesen, weil die Verbrecher glaubten, Jungfrauen könnten nicht in die Hölle kommen, und sie wollten dafür sorgen, dass all ihre Feinde dort landeten. Dass ihre Mutter bereits ein Kind hatte, spielte da wahrscheinlich keine Rolle. Die hatten viele Mütter vergewaltigt, um sicherzugehen.
Das alles ging ihr durch den Kopf und während sie schon ein wenig umnebelt vom Alkohol den Überfluss ringsum auf sich wirken ließ, kam sie zu dem Schluss, dass sie Dubai hasste. Ihre Mutter hatte nie etwas anderes als Teheran gekannt – eine schmutzige Millionenstadt, regiert vom Schah und dann von den Mullahs. Die
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