Der Fehler des Colonels
schauen.
Ohne von seiner Akte aufzublicken fragte Ellis: »Gibt es schon Anzeichen von Panik?«
»Nein. Wir sind noch im grünen Bereich.«
54
Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
Vor neun Jahren – bei Marks letztem Treffen mit Larry Bowlan – hatte sein alter Chef noch Respekt einflößend ausgesehen. Ein bisschen angegraut vielleicht, aber seine Falten zeugten damals von Erfahrung und nüchterner Kompetenz. Seinerzeit hatten sie nicht selten die Nacht durchgezecht.
Heute zeugten seine Falten von Alter. Bowlans Adamsapfel trat deutlicher hervor, die Haut am Hals war erschlafft, sein grau meliertes Haar war nun völlig ergraut und er war ein bisschen geschrumpft.
Die Marlboros, die er kettenrauchte, schienen früher ein fröhlicher Dorn im Auge der jungen Gesundheitsapostel bei der Agency zu sein; jetzt wirkten sie eher wie ein langsam vollzogener Selbstmord.
Jedenfalls ließ sein Äußeres nicht vermuten, dass dieser Mann in Yale einen Abschluss in Altertumswissenschaft gemacht hatte. Bowlan gehörte zur CIA der alten Schule, zur weißen Elite.
Mark und Daria saßen ihm in einem Take-Five-Restaurant im World Trade Center Tower im Zentrum von Dubai gegenüber. Es war ein Allerweltslokal mit Selbstbedienung einige Stockwerke unterhalb des US-Konsulats. Die Tische ringsum waren noch leer, die Warteschlange an der Cafeteria aber lang, weil der
Mahgrib salat
, das Abendgebet zu Sonnenuntergang, gerade vorbei und damit das tägliche Fasten beendet war.
Bowlan hielt eine große Tasse Kardamomkaffee in den Händen und betrachtete angeekelt die Leute, die Schlange standen. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht abwarten, bis der Mist vorbei ist. Jedes Restaurant hat von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang geschlossenund dann drängen sie sich an den Futtertrögen. Mein Gott, schaut sie euch an.«
»Schön, dich zu sehen, Larry.«
Bowlan lächelte. »Freut mich auch. Eine unerwartete Überraschung.«
»Es war eine plötzliche Eingebung.«
Mark stellte Daria vor. Bowlan schüttelte ihr unbeholfen die Hand, als würde ihn der Gegensatz zwischen ihrer Jugend und Schönheit und seinem gegenwärtigen Zustand in Verlegenheit bringen. Es sei ein Vergnügen, sie kennenzulernen, sagte er und fragte, ob der Flug angenehm gewesen sei.
Daria setzte zu einer Antwort an, als Mark ihr ins Wort fiel. »Wir stehen ein bisschen unter Zeitdruck, Larry. Übrigens, ich bin raus aus der Agency.«
»Im Ernst? Zu deinen Bedingungen?«
»Weitgehend. Rausgeworfen haben sie mich nicht.«
»Da mache ich dir keinen Vorwurf. Kaufman ist ein Arsch. Du hast wahrscheinlich gehört, dass ich wieder dabei bin.«
»Ja, hab ich.«
Vor fünf Jahren hatte Larry Bowlan seine eigene Station in Weißrussland geleitet. Als Langley ihn zurückrief, war er, statt eine Spitzenposition zu übernehmen, in den Ruhestand gegangen. Ein Jahr später hatte er darum gebettelt, wieder eingestellt zu werden. Nur dass er keinen Posten auf seinem früheren GS-14-Level bekommen hatte. Stattdessen hatte man ihm einen Zeitvertrag angeboten. Er sollte verdächtige Visumanträge in US-Konsulaten und Botschaften im Ausland analysieren. Das war ungefähr so, als würde sich ein Abteilungsleiter bei einer großen Firma zur Ruhe setzen und dann wiederkommen, um in der Poststelle anzufangen.
»Dubai ist angesagt«, fuhr Mark fort. »Ich freue mich für dich.«
»Nicht so von oben herab, Sava.«
Mark mochte Dubai nicht. Die Stadt war wie Disneyland. Das höchste Gebäude der Welt! Ein Ferieninsel in Form einer Palme! Ein Einkaufszentrum mit dem größten Schneepark der Welt! Aber andererseits wimmelte es in der Stadt nur so von iranischenund amerikanischen Spionen. Die Iraner behielten Regimegegner im Auge und kümmerten sich um den ungestörten Zustrom von Schwarzmarktgütern aus Dubai in den Iran. Und die Amerikaner kümmerten sich um ihre Geschäftsinteressen und behielten den riesigen Hafen von Dschabal Ali im Auge, den von der US-Marine am häufigsten genutzten Hafen außerhalb der Vereinigten Staaten. Die Spionagescharmützel, die hier ausgetragen wurden, erinnerten Mark an den Kalten Krieg.
»Ein Paradies für Spione«, bemerkte er.
»Wenn du wirklich im Spiel bist. Und das bin ich nicht. Aber ich versichere dir, als Beobachter dabei zu sein ist besser, als daheim zu verrotten. Glaub mir, ich hab mich bemüht zu verrotten. Ernsthaft.«
Mark versuchte, Bowlan bei der Gartenarbeit zu sehen, oder auch nur auf dem Golfplatz – lächerliche Vorstellungen,
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