Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
TherapeutIn – erfahren, dann wird er so verinnerlicht, dass es der KlientIn möglich wird, sich selbst und andere Menschen (und andere Lebewesen) entsprechend liebevoll zu behandeln. – Wobei viele durchaus fürsorglich mit anderen umgehen können, nur mit sich selbst nicht, das dauert bei ihnen am längsten. Mit der Zeit dann werden wir TherapeutInnen mehr und mehr als eher ganz normale, also als fehlbare Menschen wahrgenommen, als Menschen, die manchmal dumme Sachen sagen, aber insgesamt durchaus „o.k.“ sind. Wir werden uns als TherapeutInnen unterwegs immer wieder in unseren Handlungen überprüfen müssen: Ist das, was wir tun, angemessen, zu viel, zu wenig, gerade recht? Wir werden diese Fragen auch mit der KlientIn erörtern, dabei aber versuchen, eine eigene innere Unabhängigkeit zu bewahren, auch indem wir unsere Arbeit supervidieren lassen.
Für die KlientIn ist und bleibt die ganze Zeit der Psychotherapie über eines entscheidend: dass sie den Unterschied fühlen kann – nicht nur kognitiv verstehen, sondern emotional und körperlich fühlen – zwischen dem, was sie an Mangelerlebnis oder anderen schlimmen Beziehungserfahrungen hatte, und dem, wie es sich anfühlen kann, getröstet und liebevoll behandelt zu werden.
Wenn es uns also gelingt, dieses „andere“ fühlbar zu machen, das Trost heißen könnte, Angenommensein, Achtsamkeit, Förderung, Liebe – was auch immer an Begriffen sich damit verbindet –, dann passiert etwas Wunderbares. Eine Klientin hat es so ausgedrückt: „Das ist vielleicht so, als wüsste man nicht genau, ob man Durst hat. Dann trinkt man etwas und merkt: Ach, das war es, ich hatte Durst. Oh, tut das gut. Erst wenn der Durst gestillt wird, wird einem gefühlsmäßig klar, was vorher der Mangel war. Und dann ermöglicht das schöne Neue erst, den alten Schmerz zu betrauern.“
Also: Wer einer von den Eltern verlassenen und gequälten Persönlichkeit wirklich weiterhelfen will, wird nicht umhinkommen, sich auf eine authentische tiefe Beziehung einzulassen, die gleichzeitig professionell ist, also nicht nur „irgendwie nah“, sondern auf eine sorgfältig dosierte, behutsame und angemessene Weise sicher und fördernd – und basal, das heißt die einfachsten Bedürfnisse nach Nahrung und Versorgung, körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit ansprechend.
Bis die jeweilige früh traumatisierte Persönlichkeit zu uns kommt, dominieren innere Selbstwahrnehmungen, welche die frühen und leider so zerstörerischen und vernachlässigenden Bindungspersonen in ihr hinterlassen haben. Mit anderen Worten: Sie wurde und wird nicht nur von den destruktiven Bindungspersonen, sondern auch von ihren Täterintrojekten meist nach wie vor „klein gehalten“. Also werden wir als TherapeutInnen mit diesen inneren, ganz anders denkenden, fühlenden und handelnden Persönlichkeitsanteilen ebenfalls Kontakt aufnehmen. Wir werden, um es optimistisch auszudrücken, den „Postillon d’amour“ spielen zwischen den beiden Polen der Persönlichkeit – den eingeschüchterten und gequälten kleinen und den großen ehemaligen Opfer-Anteilen sowie den eher auf reines Funktionieren ausgerichteten erwachsenen Anteilen der Persönlichkeit einerseits und den täterimitierenden und täterloyalen oder autistisch skeptisch-abwehrenden Persönlichkeitsanteilen andererseits. Und auch das ist meine Erfahrung: Ohne die – durchaus längerfristige – Beziehungsarbeit der TherapeutInnen können insbesondere früh traumatisierte KlientInnen diese Verbindung weder auf angemessene Weise herstellen noch den Kampf zwischen „Gut, aber Opfer“ und „Böse, aber stark“ in sich selbst lösen.
Interview 2: „Wir sprechen von täterimitierenden Anteilen“
Fragen an den Traumaforscher und Psychotherapeuten Prof. Onno van der Hart, Universität Utrecht
Michaela Huber: Täterintrojekt, Täter-Imitation, Täterimplantat, Täter-State – das Thema des Wiederholungszwanges von gewalttätigen Impulsen in Gewaltüberlebenden hat eine lange Tradition. Die strukturelle Dissoziationstheorie, die Sie mit Ellert Nijenhuis und Kathy Steele zusammen entwickelt und unter anderem im Buch „Das verfolgte Selbst“ beschrieben haben, hat eigene Vorstellungen von der Art, der Entstehung und der Therapie solcher Selbst-Anteile. Beginnen wir vielleicht mit dem Begrifflichen.
Onno van der Hart: Früher haben wir sie „Verfolger-Anteile“ genannt (Van der Hart, Nijenhuis & Steele 2006), heute sprechen wir von
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