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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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dass diese Anteile in den extremsten Momenten im Leben der KlientIn beim Überleben geholfen und zu allem gegriffen haben, was funktionierte. Und das waren u.U. auch die Worte und Handlungen des ursprünglichen Täters, um das Kind am Schreien oder Weinen zu hindern. Die TherapeutIn sollte über die Alltagspersönlichkeitsanteile auch Empathie für diese Anteile mitteilen, die, gefürchtet und verachtet, eine einsame und vollkommen missverstandene Position im Persönlichkeitssystem einnehmen. Die TherapeutIn könnte erklären, dass diese Anteile, wie andere Emotionale Persönlichkeitsanteile (EPs), immer noch in der Trauma-Zeit leben, also gegenwärtig immer noch die Welt so betrachten, als fänden Missbrauch und Misshandlung immer noch statt (ein Eindruck, der sich durch das Wiedererleben der Traumaerinnerungen im Innern der Persönlichkeit auch für sie noch verstärkt). Auf diese Weise werden die Alltagspersönlichkeitsanteile (ANPs) konsistent und dauerhaft darin unterstützt, die Phobie vor diesen am meisten gefürchteten Persönlichkeitsanteilen zu überwinden und reflektierend statt reflexhaft auf sie zu reagieren.
    Bei all dem sollte sich die TherapeutIn darüber im Klaren sein, dass alles, was sie mit den Alltagspersönlichkeitsanteilen bespricht, auch von den täterimitierenden Anteilen im Innern mitgehört wird, auch das Reframing (Anders-Einsortieren) der durch sie verursachten Symptome. Da diese Anteile auch in der Traumazeit leben, sollte die TherapeutIn sehr darauf bedacht sein, immer wieder die Unterschiede deutlich zu machen zwischen den gefährlichen Situationen der Vergangenheit und der (hoffentlich sicheren) heutigen Gegenwart. Da in dieser ersten Phase der Therapie die traumatischen Erfahrungen noch nicht integriert sind, sollte die TherapeutIn großen Wert darauf legen, dass alle Anteile der Persönlichkeit immer wieder dazu ermutigt werden, die Gegenwart bewusster wahrzunehmen; wir nennen das „Präsentifikation”. So waren die Selbstbeschädigungen der Persönlichkeit durch die täterimitierenden Anteile in der Vergangenheit unter Umständen überlebenswichtig; heute sind sie vielleicht reine Wiederholungen von Erfahrungen aus der Traumazeit, die zum Beispiel durch Reaktivierung von Traumaerinnerungen ausgelöst werden. Die TherapeutIn sollte den täterimitierenden Anteilen respektvoll begegnen. Verhindern sie zum Beispiel, dass die Alltagspersönlichkeitsanteile mehr über die Traumageschichte erzählen wollen, kann man das erst einmal respektieren und sagen, sie hätten wahrscheinlich gute Gründe dafür, und dann diese Gründe explorieren, statt mit der Exploration der Traumageschichte fortzufahren. Möglicherweise fürchten die täterimitierenden Anteile, die TherapeutIn könne sie aus ihrer Machtposition vertreiben, wolle vielleicht nicht mit ihnen arbeiten, hasse oder verachte sie, wolle sie loswerden, und das könne ihr möglicherweise auch gelingen. Die TherapeutIn kann ihnen dabei behilflich sein, diese aus der Traumazeit stammenden Vorurteile zu korrigieren. So könnten sie zum Beispiel merken, dass sie durchaus Macht behalten können, während sie mit der TherapeutIn zusammenarbeiten. Sie könnten dann lernen, andere Anteile zu akzeptieren und mit ihnen gemeinsam an einer Verbesserung der Situation zu arbeiten.
    Ein letztes Thema in diesem Zusammenhang betrifft das Setzen von Grenzen. Während der Arbeit daran, die Gegenwart zunehmend „anders“ als die Traumazeit wahrzunehmen, sollte die TherapeutIn großen Wert darauf legen, dass dem Verhalten der täterimitierenden Anteile nach innen und außen starke Grenzen gesetzt werden. Ob eine KlientIn sich an solche Begrenzungen halten kann, sagt viel aus über mögliche Persönlichkeitsstörungen, die mit Affektregulation und Impulskontrolle zu tun haben, und spricht umgekehrt für die Bereitschaft, aktiv in der Therapie zu arbeiten, statt Gefühle auszuagieren.
    (Übersetzung: Michaela Huber)
     
    Onno van der Hart ist emeritierter Professor für Psychopathologie chronischer Traumatisierungen an der Abteilung für Klinische und Gesundheitspsychologie der Universität Utrecht und Psychologischer Psychotherapeut am Sinai Zentrum für Seelische Gesundheit in Amstelveen, Niederlande. Zudem ist er Supervisor und Ausbilder im Bereich Diagnostik und Behandlung dissoziativer Störungen. Zu seinen zahlreichen Fachveröffentlichungen gehört das Buch „Abschiedsrituale: Lernen, leichter loszulassen“, Paderborn: Junfermann,

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