Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
Vom Netzwerk:
zusammenfügen. Dieses Zusammenfügen geht nicht allein. Es geht nur in Beziehung zu einem anderen Menschen! Wenn man keine nahen erwachsenen Personen hat, die einem dabei helfen, dann wird man eine TherapeutIn dafür brauchen.
    In diesem Kapitel wird es darum gehen, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der oder die einem hilft, traumatisch abgespaltene Erfahrungen und Täterintrojekte zu integrieren. Und da ich weiß, wie zögernd viele KollegInnen sind, diese Arbeit zu tun, möchte ich in diesem Kapitel sozusagen noch einmal dafür werben, den Rat- und Hilfesuchenden doch einen Platz anzubieten. Sich die Mühe zu machen, über längere Zeit „neben dem zu sitzen“, das sich kläglich, abgelehnt, feindselig oder boykottierend verhält. Frühe Traumatisierungen können nur verändert werden, wenn wir dem „Feind im Innern die Hand hinstrecken“.
    Das ist ja das Erstaunliche, und ich will es noch einmal sagen, weil es so schwer ist, das zu verstehen: dass gewalt-traumatisierte Menschen während der Einwirkung von traumatischem Stress sich quasi nicht nur selbst in die Einzelteile auflösen (hier eine Bildwahrnehmung, dort ein Geräusch, ein rasender Schmerz – wegdissoziiert und im Körpergedächtnis gespeichert – Gefühle ganz woanders), sondern in einem Teil ihrer selbst speichern, was sie vom Täter / von der Täterin wahrgenommen haben. Und der entscheidende Punkt ist: Nicht nur, was sie wahrgenommen haben. Sondern im Gehirn ist gespeichert und jederzeit abrufbar, wie der andere „getickt“ hat, also was man innerlich „gespiegelt“ hat von den Körpergefühlen, Gedanken, Empfindungen der TäterIn. Die Spiegelneurone in unserem Gehirn scheinen dafür verantwortlich zu sein, dass wir gar nicht anders können, als im Moment der Einwirkung von Gewalt in uns aufzunehmen, wie der Täter „drauf“ war.
    Wenn die TäterIn sogar eine primäre Bindungsperson war – Vater, Mutter oder Vater- bzw. Mutter-Ersatz, dann ist dieser Prozess der dissoziativen Aneignung dessen, was sich gegen einen selbst gerichtet hat, ungeheuer intensiv gewesen. Denn jedes Kind „studiert“ seine primäre Bindungsperson (Mutter, Vater oder ein entsprechender Eltern-Ersatz). Wenn diese Bindungspersonen wiederum selbst verschiedene Anteile haben (böser Papa, lieber Papa etc.), dann gibt es im Innern des Kindes danach z. B. ein gutes Papa-Introjekt und ein böses. Waren – was tatsächlich in Misshandlungs-„Familien“ häufig geschieht – der Vater brutal, die Mutter ängstlich oder kalt, dann hat das Kind unterschiedliche Introjekte: brutale, ängstliche und kalte.
    Wenn diese Introjekte – wie es bei hoch dissoziativen Menschen häufig der Fall ist – ein Eigenleben entwickeln, dann können sie sich auch innerlich anpassen, ohne bei genauerem Anschauen ihre Herkunft verleugnen zu können.
Für eine meiner hoch dissoziativen Klientinnen war es neulich in einer Therapiestunde ein Aha-Erlebnis, als wir intensiv über das Thema sprachen, woher ihre „rechts außen“ verorteten „bösen und mich lähmenden“ Stimmen kamen:
„Ach deshalb sind die Stimmen so unterschiedlich und so widersprüchlich! Manche sagen: ‚Du bist schlecht, böse, du hast das verdient, du wolltest das doch auch‘ und so weiter. Andere von den Stimmen haben Sie ja schon mal angegriffen, in der Art: ‚Wiegeln Sie die‘ – also mich – ‚nicht auch noch auf, sich am Arbeitsplatz zu wehren. Das hat doch eh keinen Zweck, das macht alles für sie nur noch schlimmer. Die anderen bei der Arbeit sagen doch auch nichts. Es hat doch noch nie geholfen, sich zu wehren‘ und so weiter. Ich habe mich immer gewundert, dass das so verschieden ist. Aber jetzt verstehe ich! Das mit dem Schlecht- und Böse-Sein hat immer mein Vater gesagt. Und dass ich das doch auch gewollt oder verdient habe. Das andere, dass es eh keinen Zweck hat, sich zu wehren, hat meine Mutter immer gesagt. So ist das also! Damit kann ich echt was anfangen!“
    Diese Klientin ist sehr intelligent, und doch war es ihr vorher unmöglich gewesen, ihre sie so erschreckenden und lähmenden, sie zu schlimmen Selbstverletzungen veranlassenden inneren Stimmen, von denen sie lange nicht wagte, jemandem zu erzählen, irgendwie zu „verorten“, also zu verstehen, woher sie kamen. Und als sie es in einer stationären Psychotherapie zum ersten Mal verstand: „Das sind Täterintrojekte“, war sie erst erschreckt, dann erleichtert, dann verwirrt: „Aber wieso dann so unterschiedliche Stimmen? Sind

Weitere Kostenlose Bücher