Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
dem, was eine Psychotherapie sein kann? Welche Bücher haben Ihnen am meisten imponiert? Welche haben Sie tief innen erreicht, Ihnen den Mut verliehen, selbst Psychotherapie zu machen?
Texte von KlientInnen
Mir bedeuten jetzt, Jahrzehnte nachdem ich angefangen habe, psychotherapeutisch zu arbeiten, die Texte meiner KientInnen sehr viel. Was sie mir in den Stunden sagen, was sie mir am Telefon oder per E-Mail erzählen, wie sie die Welt sehen, welche eigenen oder gefundenen Zeichnungen oder Gemälde, Geschichten oder Gedichte (siehe oben) sie mir schicken, was ihnen als Resonanz auf unsere Therapiestunden einfällt. Das alles ist für mich unglaublich interessant und inspirierend; jeden Tag habe ich das Gefühl, enorm viel hinzuzulernen, und das erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Viele meiner KlientInnen sind so viel bessere ExpertInnen ihrer selbst, als ich es je sein könnte. Sie wissen es anfangs nur nicht, sie trauen sich nicht, auf ihre Intuition zu hören, oder erleben so viel Hin- und Hergerissensein, dass sie mich als freundliche und verlässliche Begleitung und manchmal auch als eine Art „Coach“ für eine mehr oder weniger lange Zeit brauchen. Und doch findet das meiste an Entwicklung dann „einfach so“ statt: Vor meinen Augen entsteht aus einem sich kärglich und wie Unkraut fühlenden Lebewesen, auf dem man herumgetrampelt hat, dem – um das Bild der Pflanze fortzuführen – Wasser und Dünger gefehlt haben, ein bunter und blühender Garten. Den kann die KlientIn auch selbst weiter gut hegen, wenn sie die Beziehung zu mir loslassen und sich überlegen kann, ob sie sich dann noch ab und zu melden möchte oder nicht. Kann es etwas Schöneres geben, als ZeugIn solchen Wachstums und derart zunehmender Autonomie zu werden?
Diese Freude ist eine Belohnung für sich. Sie ist viel mehr als der berühmte „Pygmalion-“ oder „Rosenthal-Effekt“, nach dem LehrerInnen allein durch ihre – häufig unbewusste – ermutigend positive Ausstrahlung einen positiven Effekt bei SchülerInnen bewirken, die sie für besonders begabt halten (s. Rosenthal & Jacobson 1983). Gleichwohl kann dieser Effekt durchaus auch eine Rolle spielen, etwa wenn PsychotherapeutInnen möglichst vielen ihrer KlientInnen solch gute Prognosen zuschreiben, nach dem Motto: „Wenn einer es bis zu mir geschafft hat – das muss jemand ganz Besonderes sein.“ Apropos Effekte: Was sich auch immer wieder bestätigt, ist, dass PsychotherapeutInnen besonders gut ansprechen auf sogenannte YAVIS-KlientInnen (= young, attractive, verbal, intelligent, social) – also auf KlientInnen, die jung, attraktiv, intelligent, sozial eingestellt sind und die sich verbal gut ausdrücken können. Diese Zuschreibung mag auf viele junge Psychotherapie-KlientInnen zutreffen. Doch was ist mit all denjenigen, die sich für alt, hässlich, dumm, autistisch halten und kaum ein Wort herausbringen? Vielleicht wirkt da der genannte Pygmalion-Effekt auch, aber ich glaube, eine grundsätzlich liebevolle Einstellung und ein Herz für „schwarze Schafe“ genügen eigentlich, um aufseiten der TherapeutIn die Motivation herauszukitzeln. Wie mag es Ihnen gehen?
Gespräche unter KollegInnen
Dann finde ich die Gespräche unter KollegInnen sehr hilfreich. Über alles, was uns im Leben und in der Arbeit wichtig ist: Achtsamkeit, Bindung, auch manchmal Bitternis und Burnout-Gefahr, dann aber wieder Ermutigungen und konkrete Erfahrungen aus der alltäglichen Praxis-Arbeit. Die Gespräche in den Supervisionen, in denen wir zusammen nachdenken, sind für mich als Supervisorin mindestens ebenso lehrreich wie hoffentlich für die Rat suchenden KollegInnen. Wie spannend ist es zu sehen, dass therapeutische Prozesse nicht „einfach so“ ins Stocken geraten, sondern weil meist eine Schwelle bei der KlientIn und eine bei der TherapeutIn erreicht wurde, die beide verstanden und möglicherweise überwunden oder zumindest respektiert werden sollten. Im therapeutischen Prozess gibt es zwei „Milchstraßen“, die aufeinandertreffen: Das Universum der KlientIn – und das der TherapeutIn. Beide verfügen über viele Erfahrungen, viele Zustände, viel Offenes und viel Verborgenes, viel Mitgeschlepptes und viel Kreatives. Immer wieder ZeugIn eines solchen vieldimensionalen Begegnungsgeschehens zu werden und in die dort stattfindenden Prozesse Einblick nehmen, vielleicht sogar ein klein wenig (mehr kann es tatsächlich nicht sein): dazu beitragen zu können, dass der Prozess
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