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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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gewesen. Er hielt seine Druckluftharpune schußbereit, aber an diesem Aprilmorgen hatte er eigentlich keine Lust zu jagen. Er wollte eins sein mit dem Wasser und dem Licht und die Schwerelosigkeit spüren. Wenn er einmal sterben müßte, wollte er so sterben. Im Gefühl des Nichts, im Empfinden, das Meer würde ihn verschlucken und im ewigen Vergessen verschwinden lassen. Es wäre ein kurzer Schmerz, der aus dem stärker werdenden Verlangen der Lungen nach Sauerstoff erwüchse, aber dann verginge er, alles würde grün und still, und ein letztes Mal sähe er seinen Vater und seine Mutter und die kleine Lea vor sich. Sie würden ihm zuwinken. Ihm zurufen. Licht und Wärme wären dort, und hinter ihnen lägen Weinfelder und die bosnischen Berge in der Sonne, und ein Duft von Thymian und Lorbeer durchzöge ein Land, das mit sich selber Frieden gemacht hatte. Und das grüne Dunkel, das ihn verschlucken und auflösen würde, würde ihm auch die Alpträume nehmen. Aber jetzt noch nicht. Noch nicht. Er bewegte die Flossen und begann seinen behutsamen, kontrollierten Aufstieg durch das warme Wasser.
    Vuk, der von den Aufsehern nur John genannt wurde, durchbrach neben Mike Kerry den Wasserspiegel und pustete so kräftig, daß der Wasserstrahl aus seinem Schnorchel schoß wie bei den Buckelwalen, die sie so oft beobachtet hatten. Er schob seine Tauchermaske in die Stirn und sog begierig Luft in die Lungen. Mike trat Wasser und schob seine Maske ebenfalls in die Stirn.
    »Meine Fresse, John, du bist ja ein regelrechter Fisch, Mann. War deine Mama eine Meerjungfrau?«
    Vuk lachte.
    »Klar, was denkst du denn?«
    »Ja, von wegen. Du bist ein alter Froschmann. Weiß ich doch. Ich komme aus New York. Das einzige Wasser, das ich kenne, ist der Teich im Central Park.«
    »Manhattan ist doch von Wasser umgeben, soweit ich weiß.«
    »Das ist doch kein Meer, Mann. Das ist eine Kloake. Voller Scheiße und Mafialeichen. Ich hab in einem Becken schwimmen gelernt, Mensch. Das Meer war viel zu gefährlich mit den ganzen Haien und Feuerquallen und fiesen Strömungen.«
    Vuk lachte wieder. Mike brachte ihn schnell zum Lachen.
    »Du hast es immerhin gelernt«, sagte er.
    »Ich hatte ja auch einen guten Lehrer.«
    Sie traten Wasser. Sie waren nicht mehr als hundert Meter vom Strand entfernt, genau über dem Riff, und schauten auf die Kokospalmen und die hohen, dichtbewaldeten grünen und braunen Berge. Wie gewöhnlich umlagerten regenschwere Wolken die Gipfel des Waialeale und des Kawaikini, aber davon abgesehen war der Himmel ein mächtiges klares Gewölbe. Und so ganz unveränderlich waren die Wolken auch nicht, es kam vor, daß sie durch Sonne und Wind plötzlich aufbrachen und an den Seiten der erloschenen Vulkane hinabsanken, so daß die Wasserfälle zu sehen waren, graue Ströme aus Silber. Hinter dem weißen, feinen Sand sahen sie die Küstenstraße mit gemächlich fahrenden Autos und die großen Villen auf Pfählen. Es war ein strahlender Morgen. Nur die Surfer saßen mißmutig vor ihren Zelten auf dem Campingplatz und hielten nach Wellen Ausschau, auf denen sie reiten konnten, wobei sie die Hände auf ihr Surfbrett legten, als wäre es der Schenkel ihrer Geliebten. Das Meer war erstaunlich ruhig. Nach den Stürmen und den heftigen Platzregen des Winters hielt jetzt der Sommer Einzug. Vuk fühlte nur eine schwache Strömung an seinen Beinen, wenn er sie langsam bewegte. Die Dünungen machten keine Gischt, sondern brachen schwer und flach über die Klippen nahe der Küste. Wenn es ein Paradies auf Erden gab, mußte es Kauais Nordküste sein. Er wagte den Gedanken gar nicht zu Ende zu denken, aber wenn alles gutging, würde er Emma und die Zwillinge herholen und die Insel nie wieder verlassen. Er würde ihnen das Shaka-Zeichen zeigen: die drei mittleren Finger auf den Handteller legen und den Daumen und den kleinen Finger in die Höhe strecken, die Hand träge hin und her bewegen und Aloha sagen. Er würde ihnen das hang loose beibringen, das alle Insulaner aus dem Effeff beherrschten. Nur im Hier und Heute leben und weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft auch nur einen Gedanken verschwenden.
    »Das glaubst du doch selber nicht, Mike«, sagte er. »Laß uns an Land schwimmen.«
    »Katie findet es toll, was du aus meinem Körper gemacht hast.«
    »Ach, hör doch auf!«
    Katie war Mikes Frau. Sie hatten zwei kleine Töchter. Er war zu Weihnachten und vor ein paar Wochen mal zu Hause gewesen, aber sonst saß er hier genauso gefangen

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