Der Feind im Spiegel
wie Vuk. Wenn der stolze Ehemann und Vater seine Anekdoten von Katie und den Kindern zum besten gab, beschlich Vuk ein zärtliches und zugleich bitteres Gefühl. Oder wenn Mike die Fotos von seiner schönen schwarzen Frau und den beiden süßen Kinderchen mit dem blendend weißen Lächeln und den Riesenschleifen im Haar zeigte. Dann wurde Vuks Sehnsucht nach Emma und den Zwillingen unerträglich. Es ging ihm buchstäblich an die Nieren. Er bekam Sodbrennen, und die Galle kam ihm hoch. Es ging ihnen gut in Atlanta. Soviel war immerhin klar. Einmal pro Woche durfte er auch mit Emma telefonieren. Die Maskerade hatte ein Ende. Er hatte die Karten auf den Tisch gelegt und ihnen alles erzählt. Emma konnte auch nicht so gut lügen. Sie hatte sich schnell in Widersprüche verstrickt. Er hatte gehofft, daß seine Familie nun, da die Amis die Wahrheit kannten, gleich nach Hawaii kommen könnte, aber diese Prämie hatte er sich noch nicht verdient, wie sich der Oberst auf einer ihrer vielen Sitzungen auszudrücken beliebte.
»Ich war noch nie so gut in Form, sagt sie.« Mike hörte nicht auf. »Sie ist ganz wild auf meinen neuen festen Körper, Mann. Und ich dachte immer, ich bin durchtrainiert. Auf der Akademie war ich einer der Besten, aber jetzt …«
Vuk antwortete nicht, sondern kraulte mit langen, gemessenen Zügen zum Strand. Mike folgte ihm, aber er zog die Tauchermaske über die Augen. Seine Begeisterung für das Schnorcheln war noch immer so neu und groß, daß er nicht müde wurde, die Unterwasserwelt zu betrachten, die ihm sein merkwürdiger und gefährlicher Gefangener in den letzten Monaten eröffnet hatte. Es war eine eher kuriose Aufgabe, die das FBI ihm da zugeteilt hatte. Und wenn seine Familie nicht so weit weg gewesen wäre, auch eine sehr angenehme. John wirkte überhaupt nicht gefährlich und schien nicht den geringsten Wunsch zu verspüren, das Weite zu suchen. Wohin auch? Er wußte ohnehin, daß es zur Kooperation nur eine einzige Alternative gab: eine kleine, heiße und offene Zelle in Guantánamo, wo all die anderen dreckigen Terroristen verfaulten, na ja, und wenn es nach Mike ging, konnten sie dort gerne bis ans Ende ihrer Tage bleiben.
Hinterher saßen sie vor der Villa am Strand. Joes Frau fegte die Veranda. Sie winkte zu ihnen hinunter, und sie winkten zurück. Sie war eine kräftige Hawaiianerin mit schwarzen Haaren, die häufig lächelte, und mit den Fischen, die sie in der See aufspießten, vollbrachte sie in der Küche wahre Wunderwerke. Zwischen den Pfählen, die das Haus trugen, lagen ein altes Auslegerkanu und in der Ecke ein Schlauchboot, das in sich zusammengesackt war, sowie ein Haufen welker Palmblätter. Einer der Pfosten sah neu aus. Der alte hatte ersetzt werden müssen, als der Hurrikan Iniki die Insel 1992 mit seiner ganzen Wucht erwischt hatte. Manche Häuser waren in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt worden, als hätte eine Bombe sie getroffen, aber die Villa des FBI und des Nationalen Sicherheitsrats hatte das Wüten des Wirbelsturms mit einigen unbedeutenden Schäden überstanden. Vuk mochte das Haus. Es stand inmitten von Kokospalmen, war hellrot ausgebleicht und abgenutzt, aber solide und geräumig. Ein solches Haus könnte er sich für sich und seine Familie gut vorstellen. Es hatte drei Stockwerke, eine Veranda mit weißgestrichenem Holzgeländer und feine weiße Fenster mit dunklen Sprossen. Er konnte sehen, wie sich die Gardinen in den offenen Fenstern seines großen Zimmers unterm Dach sanft im Wind bewegten. Im Nachbarzimmer wohnte Mike. Der zweite Stock war dem Obersten und seinen Mitarbeitern vorbehalten. Hier wurde er jeden Nachmittag vernommen, anfangs auch vormittags. Damit war nun Schluß. Die endgültige Prüfung stand kurz bevor.
Vuk lehnte sich zurück und stützte sich auf seine Ellbogen. Er schaute über das Meer. Mike zog zwei Flaschen Wasser aus seinem Rucksack. Darin lagen auch seine FBI-Marke und seine Dienstpistole, aber er sah Vuk schon lange nicht mehr als Gefangenen an, sie waren verbunden durch ein Schicksal und einen Verlauf von Ereignissen, die sie beide nicht selbst bestimmt hatten. Sie tranken schweigend. Plötzlich zeigte Mike aufs Meer.
»Guck mal, John! Guck doch mal, Menschenskind! Wie schön! Das ist zu schön. Ich sag dir. Als ich noch ein kleiner Junge in der Bronx war, hätte ich mir das nie träumen lassen. So ein Anblick, du. Mann, ist das schön!«
»Ja, ja, Mike. Jetzt halt mal die Klappe«, sagte Vuk, aber ohne ihm böse zu
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