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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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sein.
    Mike gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, und gemeinsam beobachteten sie die Buckelwale wenige hundert Meter vor der Küste. Es waren ein paar Weibchen mit ihren Jungen. Weiter draußen schwamm ein Männchen, das sich sehr wichtig tat. Es hob sich aus dem Wasser und stand wie ein mächtiger brauner Bogen in der Sonne, ehe es mit einem Donnerschlag, der bis zur Küste rollte, wieder auf der Meeresoberfläche aufschlug. Die Weibchen glitten mit zwei großen Jungtieren davon. Sie schwammen unbeschwert und elegant, und die großen Buckel der ausgewachsenen Säuger tauchten auf und nieder. Regenbögen entstanden, wenn sie ausatmeten und einen Wasserstrahl in die klare Luft schickten. Eine Gruppe Delphine folgte ihnen, und wenn sie sprangen, hingen ihre glänzenden silberfarbenen Körper einige Sekunden lang ausgestreckt über dem grünen Meeresspiegel. Als trotzten sie dem Gesetz der Schwerkraft. Die Schwanzfinnen der Wale erhoben sich in die Luft und tauchten wieder ein. Vuk war fast ein wenig traurig. Jetzt verschwanden sie und konnten sich viel zu lange unter Wasser aufhalten. Sie hatten die Wale den ganzen Winter über gesehen. Im November kamen sie aus den kalten Strömen Alaskas herunter, manche zur Paarung und andere, um die Jungen zu ernähren. Es waren wundervolle Tiere, die trotz ihrer Größe im Wasser wie graziöse Tänzer wirkten.
    »Wir haben April. Jetzt treten sie ihre lange Rückreise nach Alaska an«, sagte Vuk. Sie warteten noch ein wenig und hofften, sie würden noch einmal springen, aber sie sahen nur noch die Delphine, die ins offene Meer hinauszogen.
    »Phantastische Tiere«, meinte Mike. »Unglaublich schön. Welcher Idiot kann nur darauf kommen, sie zu töten, Mann? Kannst du mir das vielleicht sagen?«
    »Menschen fällt alles mögliche ein.«
    Mike drehte sich halb zu Vuk um.
    »Die Wale sind wie du. Jetzt ziehen sie ab. Das tust du auch bald.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Weißt du doch selber. Die Zeit ist da.«
    »Es kommt auf morgen an.«
    »Ich darf es ja nicht sagen, aber eigentlich sind sich alle einig, daß du geeignet bist.«
    »Ihr könnt mich gebrauchen?«
    »Mann, ich darf nichts sagen.«
    »Schon gut.«
    Mike zögerte etwas und sagte dann: »Manchmal vergesse ich, wer du bist.«
    »Das tue ich selber auch, aber das hilft ja nichts.«
    »Fühlst du dich nicht selber schlecht, wenn du dran denkst, was du getan hast?«
    »Das bringt doch nichts. Die einen sterben im Krieg, die andern töten.«
    »Denkst du wirklich so?«
    »Ich versuche, gar nicht zu denken.«
    Mike zögerte wieder. Vuk wandte den Blick von ihm ab und schaute übers Meer.
    »Ach, ist ja auch egal«, sagte Mike. »Wir hatten eine super Zeit zusammen. Du hast mir das Schnorcheln beigebracht. Manchmal vergesse ich eben einfach, daß du eigentlich ein Gefangener bist.«
    »Und du mein Aufseher?«
    »Und ich dein Aufseher.«
    »Komm, laß uns noch mal rausschwimmen, Aufseher.«
    »Du bist ein Fisch, Mann. Sohn einer Meerjungfrau«, sagte Mike, aber er trat sich hastig die Turnschuhe von den Füßen, folgte Vuk in die sanften Wellen und kraulte mit ihm auf das Riff zu.
    Die Welle war mehrere tausend Kilometer entfernt entstanden. Auslösende Ursache war ein Seebeben, das den Meeresgrund in zweitausend Meter Tiefe zerriß. Die Welle hatte sich aus dem Meer erhoben, ohne auf Widerstand zu stoßen, und einen Teil ihrer Kraft verloren, war aber noch immer von unvorstellbarer Wucht, als sie nach der langen Reise über den Stillen Ozean auf ihr erstes Hindernis prallte. Es war Kauais Nordküste. Vuk spürte ihren Sog, ehe sie ihn und Mike erfaßte. Sie hatten ihr den Rücken zugewandt, hätten sie aber ohnehin nicht bemerken können. Der größte Teil ihrer Energie lag unter Wasser. Wie gewöhnlich waren sie ein paar hundert Meter hinausgeschwommen und ließen sich jetzt kurz hinter dem Riff auf dem Rücken treiben und träumten in den blauen Himmel hinein. Die Dünung bewegte sich unter der Meeresoberfläche und reichte bis auf den sandigen Boden hinab. Sie glitt unter ihnen hindurch, so daß die beiden Männer zuerst nur sanft ins Schaukeln gerieten, aber als sie in Küstennähe mit dem flachen Klippengrund in Berührung kam, wuchs ihr Zorn über den Widerstand. Die nachdrängenden Wassermassen türmten sich zu einem grün-weißen Bogen auf, der zunächst senkrecht stehenblieb, als hielte Gottes unsichtbare Hand ihn auf, und der Krach der Kaskaden, die das Ufer erreichten, steigerte sich zu

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