Der Feind im Spiegel
Vuk wußte, daß er am Abend zuvor aus dem frühjahrskühlen Nordamerika eingeflogen worden war. Er roch nach Zigarrenrauch, und sein dünnes Haar hatte er sich über den Schädel geklatscht, aber er hatte freundliche, scharfe und intelligente graue Augen. Die kräftigen weißen Arme waren von langen schwarzen Haaren bedeckt. Er lächelte freundlich, gab Vuk die Hand und bat ihn, sich zu setzen. Er nannte ihn John.
Vuk setzte sich auf den Stuhl, der eine hohe Rückenlehne hatte. Der Psychologe befestigte ein paar Schläuche an Vuks Oberkörper.
»John, mein Name ist Peter Larkin. Ich bin Psychologe, angestellt beim FBI. Dieses Ding hier ist ein Polygraph, im Volksmund auch Lügendetektor geheißen. Polygraph bedeutet schlicht Vielschreiber, und er wird in den USA mit ungebrochenem Vergnügen benutzt. Das hier ist eine analoge Maschine. Es gibt Raffinierteres, digitale Maschinen, aber der Oberst meinte, das wäre nicht nötig. Was wir aufzeichnen, wird nirgendwo sonst verwertet. Diese Gummischläuche messen Ihre Atemzüge. Sitzen sie einigermaßen? Oder sind sie zu eng?«
Vuk schüttelte den Kopf. Er roch die Melange aus Schweiß und Tabak, als Larkin ihm zwei Metallplättchen an den Fingern befestigte.
»Die messen Ihre Schweißabsonderung, John. Sitzen sie gut? Prima.«
Dann spannte er etwas um seinen linken Arm, das Vuk an einen Blutdruckmesser erinnerte.
»Das Gerät hier mißt Blutdruck und Puls. Sitzt es zu stramm?«
»Nein. Ist in Ordnung.«
»Haben Sie Durst? Ein Glas Wasser?«
»Mir geht’s sehr gut.«
»Na, herrlich.«
Peter Larkin schleppte sich zu dem Computer zurück und schaltete ihn an. Er setzte sich.
»Super. Funktioniert alles. Sehen Sie, John, ich weiß eine ganze Menge über Sie. Ich habe Ihre Dossiers gelesen und die Videoaufnahmen Ihrer Gespräche mit dem Oberst studiert. Ich finde, ich kenne Sie richtig gut. So gut, daß ich sagen möchte, ich habe Respekt vor Ihnen. Ich verstehe Ihre Traumata, und ich verstehe Ihre Beweggründe, warum Sie den Vereinigten Staaten unter die Arme greifen wollen. Ich bin Psychologe und kein Richter. Ich mache mich nicht zum Richter über Sie und Ihr Leben. Meine Aufgabe könnte lauten, Ihnen zu helfen, aber so lautet sie heute nicht. Meine Aufgabe ist, dem Obersten Jorgensen und der Regierung der USA bei der Einschätzung behilflich zu sein, ob das, was Sie uns erzählen, wahr ist. Ich weiß von Ihrer Familie und kenne deshalb den Preis, aber auch den Lohn dieses Tests. Ich sehe Sie als vollkommen gesund an. Ich habe Ihre ärztlichen Gutachten und den ersten psychologischen Befund gelesen. Sie sind in glänzender Form – wenn ich doch nur das gleiche von mir sagen könnte! – und im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte. Sitzen Sie bequem?«
»Ich sitze sehr gut.«
»Das sehe ich. Sie sind vollkommen ruhig.«
Larkins Stimme war sanft und angenehm. Sein Akzent war schwer einzuordnen. Kam weder aus Norden noch Süden, Osten oder Westen. Es war das ruhige, deutliche Englisch des gebildeten Amerikaners. Zwischen seiner Stimme und seinem Körper bestand ein himmelweiter Unterschied. Sie war beinahe einschläfernd, auf jeden Fall ungemein beruhigend und melodisch. Er mußte ein unschlagbares Talent zum Hypnotisieren haben und konnte sicher die tiefsten Geheimnisse zutage fördern, wenn er die Seele eines Menschen bloßzulegen wünschte.
Larkin schaute auf seinen Bildschirm und sagte: »Okay. Alles ist, wie es sein soll. Normalerweise verlangt so etwas mehrere Sitzungen, aber die Zeit ist knapp, und das Ergebnis ist nicht für den Gerichtssaal bestimmt. Das wäre in vielen Staaten sowieso nicht möglich. Sie haben sich freiwillig zur Verfügung gestellt, und es ist meine Pflicht, hinterher zu beurteilen, ob Sie die Wahrheit gesagt haben. Klar?«
»Klar.«
»Gut. Zuerst ein paar allgemeine Fragen. Dann ein paar persönlichere, und am Schluß wird Ihnen Oberst Jorgensen einige eher operative Fragen stellen. Der Apparat ist nicht fehlerfrei, aber gut genug, um zusammen mit dem Material, das ich über Sie studiert habe, zu einer objektiven Einschätzung zu gelangen. Alles klar? Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?«
»Vollkommen.«
»Prima. Dann können wir ja loslegen.«
Larkin senkte seinen Blick auf den Bildschirm. Der Oberst saß hinter ihm und starrte ebenfalls auf den Schirm, auf dem man Vuks Blutdruck, Atmung, Schweiß und Puls ablesen konnte, wobei an der Art der Kurve sofort zu erkennen war, ob er log oder nicht. Vuk konnte sich gut
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