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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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verstellen. Lug und Trug waren jahrelang seine treuen Begleiter gewesen. Er wußte, daß er Menschen mit Leichtigkeit verführen und ihnen Sand in die Augen streuen konnte, aber er war nicht arrogant. Er bildete sich nicht ein, eine Maschine hinters Licht führen zu können. Der Preis für die Lüge, für das zweischneidige Schwert des Betrugs, war schlichtweg zu hoch. Er atmete tief ein und konzentrierte sich.
    »Fein«, sagte Larkin. »Sie haben einen hervorragend funktionierenden Körper. Sie reagieren normal. Sagen Sie etwas, von dem Sie wissen, daß es absolut wahr ist.«
    »Ich liebe Hawaii.«
    Larkin lächelte.
    »Zu heiß für mich. Sagen Sie etwas, von dem Sie wissen, daß es absolut unwahr ist.«
    »Mein Name ist John Ericsson, und ich bin amerikanischer Staatsbürger.«
    »Perfekt. Haben Sie Angst?«
    »Nein.«
    »Sind Sie nervös?«
    »Ein bißchen.«
    »Ja oder nein?«
    »Ja.«
    »Lieben Sie Ihre Frau und Ihre Kinder?«
    »Absolut!«
    »Ja oder nein?«
    »Ja.«
    »Heißen Sie Vuk?«
    »Nein.«
    »Heißen Sie Janos?«
    »Nein.«
    »Nein?«
    Larkin schaute auf den Bildschirm und dann in Vuks Augen.
    »Können Sie das erklären?« fragte er.
    Vuk setzte sich anders hin. Er schwitzte ein wenig, aber es war auch wärmer geworden im Raum. Draußen hatte der Wind zugenommen, und deutlich hob sich das Rauschen der Palmblätter von der Brandung ab.
    »Mein Geburtsname ist Retjko, aber das war für die Dänen ein echter Zungenbrecher. Ich wollte gern so sein wie meine Kameraden. Janus war damals ein ziemlich normaler dänischer Name, aber ich hatte ihn nicht richtig verstanden, denn ich nannte mich Janos. Das ist ungarisch und in Jugoslawien überhaupt nicht verbreitet, aber so hieß ich in Dänemark, und meine Eltern haben es akzeptiert. Hauptsache, mir ging’s gut, dann waren sie glücklich.«
    »Und Vuk?«
    »Vuk wurde mein Name, als ich in den Krieg ging.«
    »Als Ihre Eltern ermordet wurden?« hörte Vuk die sanfte, ruhige Stimme fragen.
    Vuk atmete aus. Er sah dem Psychologen an, daß sein Schmerz an den Bildschirmkurven abzulesen war.
    »Ja. Es wurde mein Name, als meine Eltern ermordet wurden«, sagte Vuk nach einer Pause.
    »Ihr Vater und Ihre Mutter und Ihre kleine Schwester?«
    »Vater und Mutter und Lea, ja.«
    »Tut es weh, wenn Sie daran denken?«
    »Scheiße, was denken Sie denn?«
    »Ich denke gar nichts. Ich frage bloß.«
    »Dann fragen Sie!«
    »Tut es weh?«
    »Ja, verflucht.«
    »Immer?«
    »Nicht immer.«
    »Weniger als früher?«
    »Ja.«
    »Gibt es etwas, was dagegen hilft?«
    »Mit Anna und den Kindern zusammenzusein, dann rollt die Blutwalze nicht.«
    »So. Ihre Blutwalze. Darüber könnten wir lange reden, aber das ist jetzt nicht meine Aufgabe. Haben Sie Angst vor der Blutwalze?«
    Vuk spürte, wie er anfing zu schwitzen und sein Herz schneller schlug.
    »Ich möchte nicht so gerne darüber sprechen.«
    »Haben Sie Angst vor der Blutwalze?«
    »Ja. Ich habe Angst vor der Blutwalze.« Sein Herz raste. Wann und wo hatte er davon erzählt? Es mußte in dem Gespräch mit diesem Psychologen vor langer Zeit gewesen sein. Er sollte über seine Träume berichten und hatte den Traum mit der Blutwalze gewählt. Aber er war sich eigentlich sicher, daß er einfach drauflosgeredet hatte, nur um den Seelenklempner zufriedenzustellen. Larkin entging wirklich nichts.
    »Sind Sie wieder bereit, John?«
    »Ja. Ich bin bereit«
    »Hassen Sie Muslime?«
    »Nein. Das ist vorbei. Ich hasse überhaupt keine Gruppen mehr.«
    »Aber hassen Sie nicht die Muslime in Bosnien, die Ihre Eltern und Ihre Schwester auf dem Gewissen haben?«
    »Doch. Nur denke ich an sie nicht als Muslime, sondern als Menschen, die meine Familie getötet haben, weil sie sich von nationalistischer und religiöser Propaganda haben mitreißen lassen.«
    »Haben Sie auch getötet?«
    »Ja.«
    »Wie oft?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es nicht? Oder wollen Sie es nicht wissen?«
    »Ich will nicht daran denken.«
    »Haben Sie die Mörder Ihrer Familie getötet?«
    »Ja.«
    »Was haben Sie dabei gefühlt?«
    »Nichts. Alles war leer.«
    »Haben Sie überhaupt nichts empfunden?«
    Vuk machte eine Pause. Der Schweiß lief ihm die Achselhöhlen hinunter, und sein Herz schlug wieder heftiger. Larkin konnte das natürlich ablesen. Er fragte: »Ist Ihnen die Situation unangenehm?«
    »Ja.«
    »Dann wiederhole ich die Frage: Haben Sie überhaupt nichts empfunden?«
    »Ich war traurig.«
    »Vorher und nachher?«
    »Vorher und

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