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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Selbstverständlich sollte Ibrahim als ältester Sohn das erfolgreiche Teppichgeschäft des Vaters übernehmen, aber er hatte mehr für Bücher als für Teppiche übrig. Obwohl er Muslim war, ging er bei den katholischen Nonnen in die Schule. Es waren schlicht die besten Schulen. Ende der dreißiger Jahre hatte er angefangen, in Paris und Rom Philologie zu studieren. Toftlund fand es interessant, daß Ibrahim 1941, als die Briten und die freien französischen Streitkräfte den Libanon besetzten, nach Beirut zurückgekehrt war. Die nächsten vier Jahre waren nicht im einzelnen beschrieben, zumindest war aber ersichtlich, daß der junge Ibrahim in den britischen SOS eingetreten war, der sich aus dem Nachrichtendienst und mehreren Sondereinheiten zusammensetzte. Er hatte hinter den deutschen und italienischen Linien operiert. Vielleicht ist er sein Leben lang aktiv gewesen. Womöglich ist er es immer noch. Aber wo und für wen? Darüber grübelten die Italiener nicht weiter nach, aber Toftlund. Nach dem Krieg folgte eine beachtliche akademische Karriere. Professor für klassische Sprachen und später für islamische Kultur und Geschichte. Forscher, Lehrer und Autor in Lausanne, Rom, London und Paris. Seit 1960 lebte er überwiegend in Beirut, nachdem der Libanon zum finanziellen, modernen und wohlhabenden Mittelpunkt des Nahen Ostens aufgestiegen war, bis der Bürgerkrieg zwischen Maroniten, Christen und Muslime das Land ruinierte und ihn 1976 vertrieb. Wie sein Vater mußte auch Ibrahim samt Familie ein paar Habseligkeiten einpacken und bei Nacht und Nebel fliehen. Seitdem hat er den größten Teil des Jahres in Venedig verbracht. Seine Frau war vor fünf Jahren gestorben. Er hatte vier erwachsene Kinder, die alle ihr gutes Auskommen hatten. Sie waren keine Akademiker. Die beiden Söhne waren in die Teppichbranche des russischen Großvaters eingestiegen. Die beiden Töchter waren Lehrerinnen in Paris und muslimisch verheiratet, aber ihre französisch-laizistische Seite war stärker als ihr Glaube, hieß es in Ibrahims italienischem Dossier. Er war heute einer der bekanntesten Fürsprecher des sogenannten Euroislams, der, wenn Toftlund es richtig verstanden hatte, den Islam und die modernen, demokratischen europäischen Gesellschaften in Einklang zu bringen suchte. Theologische Spitzfindigkeiten interessierten Toftlund nicht. Die Gesetze galten für alle. Sie waren von Menschen beschlossen worden, weder Gott noch Allah hatten etwas damit zu tun.
    Der gebrechliche alte Herr führte sie in sein Arbeitszimmer. Es war groß und dunkel und wurde von einem riesigen Eichenschreibtisch dominiert. An den Wänden standen deckenhohe Regale mit Büchern in arabischer, deutscher, englischer, französischer, italienischer und russischer Sprache. Die dunkelroten Gardinen waren zugezogen. In einer Ecke stand ein niedriger Tisch mit einem Sofa und drei Sesseln. Auf dem Schreibtisch stand eine alte Remington neben einem tragbaren Computer, dem etliche Bücher, Zeitungsausschnitte und Manuskriptstöße den Platz streitig machten. Ibrahim hatte sich auf deutsch bei Toftlund für die Unordnung entschuldigt, der sich kurz darüber wunderte, wieso der alte Gelehrte wußte, daß er Deutsch ebenso gut wie Dänisch sprach; dann hatte Ibrahim ihm einen der Ledersessel an dem niedrigen Tisch zugewiesen. Aischa hatte ihm ehrerbietig die Hand geküßt, und sie hatten sich leise miteinander auf arabisch verständigt. Aischa erwies ihm großen Respekt, und die Augen des Alten verrieten Liebe und Wärme. Eine Frau mittleren Alters mit Kopftuch betrat das Zimmer und brachte ihnen, ohne ein Wort zu sagen, Tee in kleinen Gläsern. Die schweren Gardinen hielten die Geräusche der Stadt fern. Der Raum war gemütlich und roch gleichzeitig ein wenig muffig und verstaubt, als würde hier nie ein Fenster geöffnet. Es war die Höhle eines kundigen Mannes, aber wessen war er kundig? Alter Schriften über Religion oder moderner Theorien über das Wesen des Terrorismus? Und konnte man sicher sein, daß außer den drei gerade anwesenden Personen nicht noch andere Ohren lauschten? Ibrahim war wohl trotz allem nicht der Typ, der seine Arbeits- und Studierkammer regelmäßig auf Wanzen hin untersuchen ließ.
    Aischa hatte ihm eingeschärft, daß man bei den Arabern nie sofort zur Sache kam. Es wäre sehr unhöflich. Wenn man sich gut kannte, fragte man nach der Familie und Gesundheit. Wenn man sich nicht gut kannte, aber einander vorgestellt worden war, nippte man ein

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