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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Hand auf meine gelegt. Ich höre nicht, was sie sagt, aber ich sehe ihr liebes, liebes Gesicht.

    Ganz tief in meinen Kopf ist ein Gedanke: Ruf Meg an. Ich bewege mich und falle aus dem Bett, lande schwer auf dem Boden. Dabei reiße ich das Telefon vom Nachtkästchen. Mein Gesicht fühlt sich klebrig an. Ich greife nach dem Telefon, starre auf die Zahlen. Sie verschwimmen immer wieder vor meinen Augen. Langsam und unter größter Anstrengung tippe ich die Nummer, halte den Hörer an mein Ohr. Nichts. Die Leitung ist tot. Ich kann nicht denken. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Alles ist zu schwierig, zu weit weg. Meine Gedanken sind so langsam, so schwer, als müsste ich sie durch Schlamm und Matsch ziehen.
    Zentimeter für Zentimeter schleppe ich mich über den Boden.
    Wohin? Was kann ich nur tun? Ich versuche mich aufzurichten, aber ich schaffe es nicht. Meine Kraft lässt nach. Ich kann kaum noch die Augen offen halten.
    Ich unternehme einen letzten Versuch und sehe etwas, eine Silhouette vor dem Fenster, eine vertraute Form. Ein Dreieck, ein Stück Draht. Die Skulptur. Diese schreckliche Skulptur. In mir regt sich ein letzter Impuls, ein letzter Gedanke, den ich kaum mehr wahrnehme. Ich drücke mich gegen den Tisch wie ein schnaubendes, gieriges Tier. Mein Gesicht tut schrecklich weh, aber ich schiebe weiter, bis endlich der Tisch kippt und es fürchterlich kracht. Dann höre ich noch einmal ein Krachen, das Splittern von Glas, und dann noch einmal, draußen; das war kein Glas, und dann sacke ich einfach zusammen, versinke in mir selbst, ein Anker, der in den tintenschwarzen Ozean taucht.
    Hinab in die Tiefe.

    Aber da ist jemand. Da ist jemand und beobachtet mich. Obwohl ich die Augen nicht mehr öffnen kann, spüre ich seinen Blick.
    Ich spüre, dass jemand neben mir steht. Irgendjemand.
    Ich versuche, die Augen aufzuschlagen. Ein schmaler Streifen schwankenden Lichts. In diesem Streifen sehe ich Schuhe, ganz nahe vor meinem Gesicht, so nahe, dass sie vor meinen Augen verschwimmen. Ich kann meinen Blick nicht auf sie konzentrieren. Eine schreckliche Welle der Übelkeit schwappt durch meinen Körper.
    Aber da ist jemand. Ich weiß es. Ich kann ihn atmen hören, hoch über mir. In der Welt, die ich gerade verlasse.
    Ich strecke die Hand aus, um die Schuhe zu berühren, aber sie weichen vor mir zurück. Erst der eine, dann der andere. Sie werden zu weit entfernten Formen. Meine Hand versucht vergeblich, ihnen zu folgen.
    Ich versuche, den Hals zu drehen, um herauszufinden, wer die Schuhe trägt, aber es geht nicht. Mein Kopf ist so schwer wie ein sterbender Planet. Altes, verbrauchtes Licht tanzt vor mir, schmutzig und flackernd. Gleich wird es verlöschen.
    Ich versuche » Hilfe « zu sagen, aber meine Lippen bewegen sich nicht, und der Atem ertrinkt in meinem Hals. Das Meer weicht zurück. Ein Welle um die andere rollt von mir weg, und ich liege am verlassenen Ufer und spüre, wie das Leben in mir verebbt.

    Und jemand sieht zu, wie ich sterbe.
    Ich höre, wie sich die Schuhe klackend entfernen, ein letztes Geräusch vor der Stille.
    Und dann ist die ganze Welt dunkel und kalt und still, und das letzte Licht verlischt.

    MEIN ZWEITES STERBEN

    27
    Ihre Augen waren geschlossen, und ihre Haut hatte einen hellen Grauton, der rund um ihre geschwollenen Lippen in Blau überging. Sie war dünner, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, ihr Körper schien sich unter der weißen Bettdecke kaum abzuzeichnen. Ich starrte sie an, bis meine Augen brannten, und bemerkte dabei Dinge, die mir vorher nie aufgefallen waren: die gespaltenen Spitzen ihrer Haare, der feine Flaum über ihrer Oberlippe, das kleine Muttermal knapp unterhalb ihres linken Ohrs, die Abschürfungen, die sich in parallelen Linien an den zarten Innenseiten ihrer Arme entlangzogen. Sie sah aus wie ein Wachsmodell, das dem Original zwar auf unheimliche Weise ähnelte, dem aber die Seele fehlte. Ich hatte Holly in all den Jahren, die ich sie nun schon kannte, noch nie schlafen oder sich einfach ausruhen sehen. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich wie eine im Wind flackernde Flamme, und wenn sie sprach, gestikulierte sie theatralisch mit den Händen, warf ungeduldig das Haar zurück, beugte sich vor, lehnte sich wieder zurück, schlug nervös mit einem Bleistift gegen den Tisch, biss auf der Spitze ihres Daumens herum. Ständig sprang sie auf, tigerte im Raum auf und ab oder wechselte auf irgendeine andere Weise die Position, als könnte sie einfach keinen

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