Der Feind meines Vaters - Roman
hätte mit einer guten Note bestanden. Ehrlich gesagt war es ganz einfach.«
»Wie schön, Nino!« Sie wandte sich von dem halb gepackten Koffer auf dem Bett ab und öffnete eine Flasche süßen Wein aus Málaga, die sie auf einem Tablett mit zwei kleinen Gläsern und einer Schüssel mit Manolis Pfannkuchen bereitgestellt hatte. »Das muss gefeiert werden.«
Sie schenkte mir einen knappen Fingerbreit Wein ein, mehr als genug, um anzustoßen, wie sie sagte, und legte mir dafür drei von den knusprigen goldenen Pfannkuchen auf den Teller.
»Sie fahren morgen früh, nicht wahr?« Mit einer Serviette wischte sie mir den schneeweißen Zucker vom Mund und nickte. »Darf ich mir ein paar Bücher zum Lesen ausleihen, bis Sie zurückkommen? Ich habe Die Schule der Robinsons noch nicht fertig, aber …«
»Natürlich darfst du das! So viele, wie du willst, obwohl … Das ist gar nicht nötig. Komm mit, ich verrate dir ein Geheimnis.«
Sie stand auf, um den Imbiss für beendet zu erklären, und ich folgte ihr schweigend vors Haus, verstand aber nicht, was sie tat, als ich sah, wie sie mit der Spitze des Zeigefingers langsam über den Fensterrahmen neben der Tür strich.
»Pass gut auf! Hast du gesehen?« Sie drehte sich um und zeigte mir einen kleinen Stein aus der Fassade, hinter dem eine Ritze zwischen Holzrahmen und Mauer sichtbar wurde. »Hier liegt immer ein Schlüssel. Komm, gib mir deinen Finger.« Sie brachte den Stein wieder an und führte meinen Finger darüber, bis ich eine leichte Unebenheit spürte, die ich mühelos herausziehen konnte. »Spürst du es? Jetzt du.« Ich öffnete und schloss das Versteck wieder, nahm den Schlüssel heraus und steckte ihn ohne ihre Hilfe wieder hinein. »Wenn ich weg bin, wird dieser Schlüssel hier liegen. Und wenn du das Buch zu Ende hast, kommst du her, nimmst dir ein anderes, das du lesen willst, schließt die Tür wieder ab – nicht dass du das vergisst – und legst den Schlüssel in sein Versteck zurück. Einverstanden? Du könntest auch durch das kleine Fenster rechts einsteigen, das nicht richtig schließt, aber warum klettern, wenn es auch anders geht.«
Trotzdem nahm ich, bevor ich mich verabschiedete, Ein Kapitän von fünfzehn Jahren mit. Ich dachte, es würde reichen, um ihre Abwesenheit zu überbrücken, doch ich irrte. Jener kalte, feuchte Herbst dauerte viel länger, als ich gedacht hatte. Der Fluss fror jede Nacht zu und verwandelte die Ufer in einen Morast, in dem man keinen Schritt tun konnte, ohne bis zu den Knien im Schlamm zu versinken. Wenn wir aus der Schule kamen, war es kaum noch hell genug, um auf der Straße zu spielen. Kurz darauf begann es zu regnen, und dann konnte man gar nichts mehr machen, höchstens die Hausaufgaben erledigen und lesen oder mit Paquito und Alfredo Karten spielen und lesen oder Heiligenbildchen in Pepas Album kleben und lesen. Ich nutzte die trockenen Tage, um den Portugiesen in der alten Mühle zu besuchen, und sogar wenn ich ihn nicht antraf, war ich nachher froh, wenigstens das gemacht zu haben. Gelegentlich ging ich auch zu Doña Elenas Häuschen hinauf, das erste Mal, um Die Schule der Robinsons wieder ins Regal zu stellen, und das zweite Mal, um bloß einen Spaziergang zu machen und mir die Bücher anzusehen, die ich noch nicht gelesen hatte. Im Haus war es eisig, und die Kälte verjagte mich schnell wieder. Am liebsten hätte ich einen weiteren Band von Episodios Nacionales gelesen, weil ich genug hatte von Meer, Schiffen und Inseln, die anscheinend unbewohnt waren, in Wirklichkeit aber doch nicht; ich traute mich aber nicht, ein so teures Buch ohne Erlaubnis mitzunehmen, und gab mich mit Der Kurier des Zaren zufrieden, dessen Handlung wenigstens nicht auf einem Schiff spielte.
Möglich, dass mir gerade deshalb die Geschichte des Zarenkuriers so gut gefiel, die Schilderung der weiten, vereisten Steppen, in denen Tradition und Loyalität, Pferde und Reiter eine Landschaft zeichneten, die mir viel vertrauter und glaubwürdiger erschien als die phantastischen Seereisen, die ich mit nichts vergleichen konnte, was ich selbst erlebt hatte. Möglich, dass ich das Buch deshalb in vier Tagen verschlang, und da fehlte noch eine ganze Woche bis zur Rückkehr von Doña Elena aus Oviedo. Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, fing es schon wieder an zu nieseln, mir war es aber egal. Ich sagte Mutter, Don Eusebio habe mir aufgetragen, einige Wörter in einem Buch nachzuschlagen, das Doña Elena bei sich zu Hause hätte; Filo
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