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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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und legte mir den Arm um die Schultern. »Wie albern, findest du nicht, Nino?«
    Doch auch Doña Elena lächelte, während wir zusahen, wie sie sich mitten auf dem Weg um den Hals fielen, wie Paula Pepes Kopf in beide Hände nahm, ihn an sich zog und ihm eine Warnung ins Ohr flüsterte, während er die Arme um sie schlang, sie an sich zog und so fest hielt, als wollte er sich ihres Körpers vergewissern oder als hätten seine Hände sie so sehr vermisst, dass sie jetzt keine Ruhe fanden.
    »Und ich will dir noch etwas sagen …«
    »Was willst du mir noch sagen, ich bin ganz Ohr.« Und obwohl er versuchte, den großen Macker zu spielen, sah ich, dass er ganz schön unsicher war.
    »Mach mir so was ja nicht nochmal, wenn du willst, dass ich weiter mit dir schimpfe.« Pepe nutzte die Pause, um den Kopf vorzustrecken, doch sie hielt ihn fest, damit er sich ihrem Mund nicht nähern konnte. »Wenn ich dich noch einmal erwische, schneide ich ihn dir ab, und dann kannst du sehen, wie du andere beglücken willst.«
    Das fand Doña Elena allerdings nicht mehr lustig. Gerade als Paula Pepes Kopf losließ, die Augen schloss und ihm ihren halb geöffneten Mund darbot, schubste mich meine Lehrerin ins Haus, sodass ich mir das, was ich nicht zu sehen bekam, vorstellen musste.
    Damals dachte ich, der Portugiese hätte die Schlacht für sich entschieden, doch noch ehe der Sommer zu Ende ging, war ich nicht mehr so sicher, wer hier der Gewinner war, denn das, was als Liebelei in die Krise geraten war, verwandelte sich nach der Versöhnung in eine handfeste Verlobung. Dennoch änderte die neue Situation nichts an meiner Freundschaft mit Pepe, weil Paula mir vertraute und ihr meine Begleitung lieber war, als dass er allein durchs Dorf von Bar zu Bar zog. Und so wurde der schlimmste Sommer, den ich je erlebt hatte, schließlich zu einem guten Sommer mit Tagen, die so lang und ermüdend waren, dass sie mich manchmal mit einer wundervollen Erschöpfung segneten, vor allem im August, als ich mit dem Portugiesen Espartogras sammelte, einer der Pflichtbeiträge für den Haushalt des Hofes, zu denen Paula ihn verdonnert hatte.
    Die Partisanen machten weiter, ihre Druckerpresse ebenfalls, und Vater und seine Kollegen waren viel zu beschäftigt, um illegale Espartograssammler zu jagen. Nachdem ich den ganzen Tag in den Bergen damit verbracht hatte, Binsen zu schneiden, sie zu bündeln und in die Mühle zu schaffen, schlief ich nach einigen Buchseiten ein und hatte keine Zeit, um irgendetwas zu sehen, zu hören oder zu denken. Andere Nächte waren weniger gut, doch als es kühler wurde, stellte ich fest, dass ich mich allmählich an meine Albträume gewöhnte, an die Besuche dieser blutüberströmten Gespenster, die immer unwirklicher erschienen und mir weniger Angst machten. Anfangs fühlte ich mich unbehaglich, fast schuldig, sie jede Nacht ein Stückchen mehr zu verlassen, weil ich ein bisschen früher einschlief, während sie in meinem Kopf immer von neuem starben, doch dann fiel mir ein, dass auch die Witwen und Waisen überlebten: Sie alle frühstückten, aßen zu Mittag und zu Abend, standen am Morgen auf, gingen am Abend schlafen und hatten manchmal sogar Spaß. So kann man nicht leben, doch so lebte man, so lebten wir alle, und ich hatte keine Lust zu sterben, solange ich noch so viele Bücher lesen, noch so viele Geschichten hören und mit Pepe noch so viele Berge und Flüsse erforschen musste.
    Es schien, als wäre alles genauso wie früher, doch in Wirklichkeit veränderten sich die Dinge, bloß merkte ich es nicht. Im September, als die Hitze allmählich nachließ und das Nachmittagslicht den Himmel mit einem zarten goldenen Glanz bedeckte, entschädigte mich Pepe für das viele gemeinsam gesammelte Espartogras mit Tagen, an denen wir nur fischten oder faulenzten. An einem Nachmittag, der sich in nichts von den anderen unterschied, musterte er mich plötzlich mit einer Aufmerksamkeit, die ich mir nicht erklären konnte, vor allem, weil keiner von uns etwas gefangen hatte.
    »Was ist?«, fragte ich, und er runzelte die Stirn, brauchte aber eine Weile, bis er reagierte.
    »Lass mich sehen, steh mal auf …«
    Ich stand auf, und er betrachtete mich derart seltsam, dass auch ich an mir herunterblickte, aber nichts Außergewöhnliches entdeckte, weder an meiner Kleidung noch an den Beinen, Händen oder Schuhen. Der Portugiese dagegen nickte heftig, als sähe er sich bestätigt, dann sprang auch er auf und stellte sich neben mich, so eng,

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