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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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weil es in meinem Dorf dieses Jahr viel zu kalt war, um zwischen Eisbergen zu segeln. Doch ich hatte noch Zeit, den Hang erneut hinaufzusteigen und die übrigen beiden Bände zu holen, die mir fehlten. Mit dem einen war ich fast fertig, als Doña Elena wiederkam.
    »Und die Französischstunden?«, fragte ich, als wir mit dem Nachmittagsimbiss fertig waren. »Wir könnten in den Weihnachtsferien damit anfangen.«
    »Wenn du möchtest.« Lächelnd akzeptierte sie meinen Vorschlag und wandte sich an ihre Enkelin. »Das müssen wir aber zuerst mit Mariquita Pérez besprechen, sie hat nämlich gerade erfahren, dass eine richtige Señorita Französisch können sollte.«
    »Großmutter!« Noch ehe sie es sagte, war Elena errötet. »Erstens solltest du es nicht so erzählen, weil es nicht stimmt. Ich will Französisch lernen, ja, aber … na schön, weil ich es will. Und zweitens sollst du mich nicht Mariquita Pérez nennen, du weißt, dass ich das nicht mag.«
    »Ich jedenfalls hätte Lust darauf«, sagte ich, um den Streit zu schlichten. »Ich meine … ich fände es schön, wenn wir gemeinsam lernen würden.«
    Da lächelte sie mir zu, und dieses Lächeln begleitete mich den ganzen Weg zurück nach Hause, wo mich Vaters wütendes Gesicht empfing. Ich konnte keinen Laut von mir geben, noch nie hatte ich ihn so aufgebracht gesehen. Rasch ging ich alles durch, was ich an diesem Tag, an dem vorherigen und dem davor gemacht hatte, warf Mutter einen Blick zu, die, ohne von ihrem Brett aufzusehen, Wäsche bügelte. Ich ahnte nicht, was mir bevorstand, nicht einmal, nachdem mir Doña Elena erzählt hatte, was ihr Schwiegersohn gesagt hatte.
    »Du bist nichts weiter als ein Grünschnabel, hörst du?« Er drohte mir mit dem Finger. »Grünschnäbel wie du betreten weder alleine eine Bar noch laden sie irgendwen ein oder haben Geld bei sich. Wenn du ein ganzer Mann bist, dann kannst du dich auch wie ein Mann benehmen, aber bis dahin wird sich so etwas nicht wiederholen, hast du mich verstanden?«
    »Aber …« Nicht einmal nach dieser Erklärung verstand ich, weshalb er so wütend war. »Ich habe doch nichts Schlimmes getan. Es war keine Bar, sondern die Churrería, außerdem weiß ich nicht, was dir Sanchís erzählt hat, aber ich schwöre, dass …«
    »Sanchís?« Der Name schien ihn ebenso zu verblüffen wie mich seine Frage. »Sanchís hat mir gar nichts gesagt, aber María hat es überall ausposaunt. Sie lacht sich krumm und dämlich, der Sohn eines Beamten der Guardia Civil lädt die Enkelin einer Roten ein. Ich finde das überhaupt nicht zum Lachen, verdammt nochmal! Hast du kapiert?«
    »Sie ist nicht die Enkelin einer Roten.« Aber natürlich war sie das. »Sie ist nur ein Mädchen wie jedes andere auch.«
    »Nein! Nicht ein Mädchen wie jedes andere auch. Und du gehst nur zum Unterricht auf den Hof der Rubias, zu nichts anderem. Ich will nicht hören, dass du dort irgendetwas anderes tust. Ist das klar?«
    Nein, nichts ist klar, dachte ich, nie im Leben hätte ich mir diese Szene vorstellen können, nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass das, was ich tat, verboten war, ich verstand es nicht, und deshalb konnte ich nicht akzeptieren, dass ich mich an einem Sonntagnachmittag nicht mit wem ich wollte auf eine Steinbank setzen durfte, um Churros zu essen, das würde niemals klar sein.
    Vater sah mich an, ich erwiderte seinen Blick, und die Erde unter meinen Füßen bebte nicht, dennoch spürte ich, dass die ganze Welt kurz vor dem Zusammenbruch stand und von einem Augenblick auf den anderen einstürzen würde, so wie die Krippe im Rathaus, während ich nachdachte und Sätze bildete, die ich mich nie laut auszusprechen wagen würde.
    Es kann nicht klar sein, Vater, weil es keinen Sinn ergibt, weil es dumm ist, so etwas zu sagen oder zu denken, denn es lässt sich nicht vermeiden, niemand kann es vermeiden, es sei denn, ihr tötet alle, sie, ihre Söhne, deine Brüder, deine Cousins, deine Neffen und Mutters Familie auch. Das müsstet ihr tun, so viele Menschen umbringen, dass überall Leichen wären, überall würden Leichen verwesen, und in Spanien könnte man nicht mehr atmen, niemand könnte mehr durch die Straßen spazieren oder die Felder bestellen, und wenn das Wasser der Flüsse das Meer rot färbte, aber erst dann, wäre endlich alles klar, doch im Moment sind wir noch alle hier, sie und wir, noch leben wir alle, du lebst hier, und ich lebe hier, obwohl ich nicht mehr weiß, wer ich bin. Aber ich weiß, dass ich

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