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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Kinder hast du?«
    Ich sah ihn verwundert an, fast ängstlich. Was sollte diese Frage? Er wusste ganz genau, wie viele Kinder Romero hatte, er hatte mitbekommen, wie sie geboren wurden, wie sie sprechen und laufen lernten, er sah sie morgens, mittags und abends, Tag für Tag. Und obwohl sein Kollege wissen musste, was Vater wusste, sah ich, wie er nickte, bevor er antwortete.
    »Genauso viele wie Sempere«, und auch diese Antwort begriff ich nicht. »Drei.«
    »Und ich bald vier.« Vater wirkte immer noch ganz ruhig, wie ein kluger Mann, der weiß, was er denkt oder sagt. »Und wie viel verdienst du, Romero?«
    »Genauso viel wie du«, lächelte Romero. »Einen Dreck.«
    Vater gab ihm Feuer und fuhr fort, als wäre ich gar nicht anwesend.
    »Und wollen wir für einen Dreck zwei Witwen mit sieben Waisen zurücklassen, nur weil die da oben jetzt abhauen wollen?«
    »Auf keinen Fall.« Jetzt war es Vater, der nickte. »Von mir aus sollen sie in Frieden abziehen. Hoffentlich kommen sie weit und kehren nie wieder zurück.«
    »Ja, und vielleicht können wir eines Tages wieder wie ganz normale Menschen leben.«
    »Alle.«
    »Ja. Sie und wir.«
    Erst als diese unerwartete und seltsame Unterhaltung beendet war und wir uns alle auf etwas geeinigt hatten, das ich nie für möglich gehalten hatte, klopfte Vater seinem Kollegen auf die Schulter und wandte sich schließlich zu mir um.
    »Du bist hierhergekommen, hast uns aber nicht angetroffen. Verstanden?«
    Plötzlich zog er mich an sich, aber nicht so wie eben noch oder so wie sonst, sondern so, wie nur Mutter mich umarmte. Indem er die Arme um mich schlang, mich fest an sich drückte und mir ins Haar flüsterte.
    »Genau das wirst du sagen, dass du hier angekommen bist und niemanden angetroffen hast, nur der Jeep stand da, und da die Tür nicht verschlossen und es kalt war und wir nicht kamen, hast du dich auf den Rücksitz hingelegt, dir eine Decke übergelegt und bist eingeschlafen, hast du verstanden?« Er löste sich von mir, umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und sah mich an.
    »Ja, Vater.«
    »Sehr gut.« Während ich mich von einem stillen, friedlichen Gefühl überwältigen ließ, das fast so etwas wie eine tiefe Erschöpfung war, drückte er mir einen Kuss auf die Stirn. »Na schön, dann leg dich jetzt hin und schlaf.«
    Er begleitete mich zum Jeep, half mir auf den Rücksitz und deckte mich zu, ehe er das Funkgerät anschaltete, um Curro zu fragen, ob sie nicht gerade Schüsse auf den Bergen gehört hätten. Ich erinnere mich, dass meine Beine noch zitterten, als ich mich hinlegte, dann schlief ich ein und wachte erst wieder auf, als der Jeep sich in Bewegung setzte. Als Romero im Hof der Kaserne einfuhr, fragte ich Vater, wie spät es sei.
    »Viertel nach fünf«, antwortete er lächelnd. »Ab ins Bett.«
    Mutter erklärte, sie werde ihm nie verzeihen, dass er nicht irgendeine Möglichkeit gefunden habe, sie während der sechs Stunden, die ich fort war, zu benachrichtigen, doch er lächelte nur, und als sie das sah, trat sie zu ihm und umarmte ihn heftig, tut mir leid, Antonino, das hätte ich nicht sagen sollen, es tut mir aufrichtig leid, verzeih mir, ich hatte nur solche Angst, solch schreckliche Angst … Als er uns allein ließ, um sich beim Leutnant zu melden, umarmte sie mich bereits auf eine andere Art, mit besorgt gerunzelter Stirn, trotzdem ließ ich ihr keine Gelegenheit, die erste Frage zu stellen.
    »Das Buch, das ich dir gegeben habe … « Es war mein erster Gedanke. »Hast du es gelesen?«
    »Was meinst du, Nino?«
    »Ob du das Buch gelesen hast, Mutter«, beharrte ich, denn jenseits von aller Angst und Wut machte ich mir vor allem Sorgen um das Schicksal des Portugiesen.
    »Nein«, antwortete sie schließlich, und ich lächelte erleichtert. »Wie hätte ich lesen können, mein Junge, bei all der Aufregung?«
    In diesem Augenblick erklärten Romero und Vater dem Leutnant, sie hätten nachts um kurz vor elf Uhr Schüsse in den Bergen gehört, die aus der Umgebung des Moreno zu kommen schienen, und hätten Curro und Arranz per Funk benachrichtigt, die offenbar nichts gehört hatten, vielleicht wegen des Gegenwinds. Sie hätten dann, kurz bevor ich gekommen sei, ihren Kollegen mitgeteilt, dass sie hinaufsteigen würden, um der Sache nachzugehen, und hätten versehentlich den Jeep offen gelassen, weil beide glaubten, der andere hätte ihn abgeschlossen. Sie wären sehr weit nach oben gegangen, hätten aber nichts Außergewöhnliches bemerkt, doch

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