Der Feind meines Vaters - Roman
Fall tun würde, und dass ich eine Gefahr verhindern konnte, die uns alle gleichermaßen bedrohte, die Widerstandskämpfer, aber auch uns, denn sollte es ihnen gelingen zu entkommen, ohne auf die Guardia Civil zu stoßen, würde Mutter nie eine Fahne, eine Pension oder einen Orden erhalten müssen.
»Vater!« Und niemand würde schimpfen, weil elfjährige Kinder nervös werden, Dinge verwechseln, sich irren können. »Vater! Keine Sorge, ich bin es!«
»Nino?« Ich sah, wie sich die Silhouette mit der glimmenden Zigarette umdrehte.
»Ja, ich bin’s, Nino. Ich komme jetzt hoch.«
»Ist was passiert?« Eine Taschenlampe leuchtete auf.
»Nein. Nun ja, jedenfalls nicht zu Hause. Ich erzähle es dir gleich.«
Ehe ich mit dem Aufstieg begann, kam er bereits auf mich zu, und wir trafen uns auf halbem Weg, früher, als ich geschätzt hatte.
»Was machst du hier?« Das Licht der Taschenlampe in seiner Hand blendete mich, trotzdem konnte ich sehen, dass er mindestens genauso erschrocken war wie ich.
»Der Leutnant schickt mich.«
»Der Leutnant?« Er umarmte mich und küsste mich auf die Wange, als wäre ihm plötzlich aufgegangen, dass er es vergessen hatte; dann ließ er mich wieder los. »Warum denn?«
»Es sieht so aus …«, ich stockte, »ich habe es nicht ganz verstanden, weil Mutter so nervös war und ihn angeschrien hat, dass ich nirgendwohin gehen würde …« Er legte mir den Arm um die Schultern, und wir begannen, den Hang hinaufzusteigen. Romero leuchtete uns von oben mit seiner Taschenlampe den Weg. »Es gab einen Riesenkrach. Und am Ende hat er mich gezwungen herzukommen. Offenbar ist jemand in die Kaserne gekommen und hat erklärt, dass Cencerro heute Nacht fliehen will. Da er kein Funkgerät hat, kann er euch nicht benachrichtigen. Und dann hat er …«
»Sag bloß, dass er dich geschickt hat, uns zu holen.« Romero hatte den Satz für mich zu Ende geführt, und ich nickte. »Was für ein Dreckskerl!«
Mit einer derartigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet, doch Vaters Schweigen, der konzentriert und abwesend zugleich auf den Horizont starrte, während er mich zu seinem Kollegen führte, als wäre ich eine Last, ein gefühlloses, fremdes Bündel, nicht sein eigener Sohn, überraschte mich noch mehr.
»Nicht zu fassen, wirklich.« Als wir ihn erreichten, staunte Romero immer noch. »Er schickt einen elfjährigen Jungen und bleibt selbst in der Kaserne … Wie findest du das, Antonino?«
Vater biss die Zähne zusammen und antwortete nicht. Er starrte immer noch mit ausdruckslosem Gesicht ins Leere und reagierte viel später als Paquitos Vater.
»Was hat er gesagt?«
»Dass sie über den Hang der Bicha flüchten wollen«, log ich mühelos, schließlich gab es zwischen Bicha und Bizca nur zwei Buchstaben Unterschied, dafür aber Unmengen von Bergen und Gehöften, »und dann die alte Straße von Torredonjimeno entlang.«
»Wie?«, erwiderte Romero ungläubig, kein Wunder, denn der Weg, den ich mir gerade ausgedacht hatte, war absurd und noch viel unwahrscheinlicher als der, den Michelin geschluckt hatte. »Wie soll denn das gehen? Wollen sie etwa über den Bergkamm flüchten?«
»Keine Ahnung, aber das hat er gesagt.«
»Und dann die alte Straße von Torredonjimeno entlang … Wo wollen sie denn hin?«
»Nach Jaén.«
»Nach Jaén? Auf diesem Weg?« Plötzlich brach er in Gelächter aus. »Der Kerl glaubt wohl, Cencerro wäre genauso blöd wie er. Hast du das gehört, Antonino?«
Ich sah Vater an und erwartete irgendeine zustimmende Geste, doch wieder täuschte ich mich. Ich wollte ihnen noch sagen, Michelin hätte mir aufgetragen, dass sie die anderen per Funk informierten und sich alle zur Bicha begeben sollten, was etliche Kilometer entfernt und in der entgegengesetzten Richtung zu Jaén war, und dass sie dort warten sollten, bis Verstärkung eintraf. Später würde ich behaupten, ich hätte alles durcheinandergebracht und vergessen, das Funkgerät zu erwähnen, ich hätte mich nur an die Route erinnert, die der Leutnant mir genannt hatte, und vor lauter Angst den Bizca-Hof mit dem Bicha-Hang verwechselt. Das wollte ich sagen, doch es war gar nicht nötig, weil Vater nicht auf Romeros Frage reagierte.
»Nein«, entgegnete er. »Ich habe es nicht gehört, und ich werde auch nichts weiter hören.«
Dann hielt er inne, zündete sich eine Zigarette an und sprach in einem beinahe friedlichen Ton weiter, völlig ungerührt von unserer Erwartung und Aufregung.
»Sag mal, Romero, wie viele
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