Der Feind meines Vaters - Roman
der Abschlussprüfung aus dem vorigen Jahr besorgt und war ins Klassenzimmer gekommen, um Regalito zu erklären, wie er sie beantworten sollte. Doch dazu kam es nicht, weil Don Eusebios bester Schüler aufstand, zu seinem Lehrer trat und ihn, ohne die Stimme zu erheben, ohne zu schreien, ohne sich aufzuregen, fragte, warum er so etwas sagte. »Sie kennen diesen Jungen, Sie wissen doch, wie es bei ihm zu Hause aussieht, dass man seinen Vater an die Wand gestellt hat, dass sich seine Mutter zu Tode schuftet, weil sie noch vier andere Kinder hat. Warum quälen Sie ihn, Sie sind doch gar nicht so. Ich kenne Sie und weiß, dass sie ein anständiger Mensch und ein guter Lehrer sind.«
Doña Elena, die auch Lehrerin war, obwohl sie nicht mehr unterrichten durfte, erzählte, genau das hätte ihm Don Eusebio nie verzeihen können. Hätte er nicht so gelassen gesprochen, hätte er den Kleinen brüllend verteidigt, dann hätte er ihm befohlen zu schweigen und zu seinem Schreibtisch zurückzukehren, und es wäre nichts weiter geschehen. Doch Regalitos Treuherzigkeit, seine höflich ausgedrückte Enttäuschung, seine aufrichtig gemeinte Kritik waren viel zu erniedrigend für einen Mann, der es nicht wagte, in der Öffentlichkeit sein wahres Gesicht zu zeigen. Ein schwacher, kleiner Mann, der nur nachmittags auf der alten Straße seine eigenen Worte aussuchte, um sich mit einem ungewöhnlich intelligenten Jungen über Geschichte und Philosophie, Poesie und Ethik zu unterhalten. Regalito wiederum konnte die zweideutige, parteiische Natur der Wahrheiten, die er auf den Spaziergängen lernte, nicht im entferntesten erahnen. Don Eusebio schaffte es nicht, seinem Blick standzuhalten. Es blieb ihm keine andere Wahl, als ihn von der Schule zu verweisen, und genau das tat er, wobei sein Gesicht weniger aus Empörung als aus Scham errötete. »Lass dich hier nie wieder blicken«, sagte er schließlich, und Regalito sah ihm in die Augen und erwiderte, er solle sich keine Sorgen machen, er denke nicht daran wiederzukommen. Da Don Eusebio ihn bereits angemeldet hatte, fuhr er später nach Jaén und beantwortete alle Fragen richtig; trotzdem wurde ihm sein Zeugnis nie ausgestellt.
Wenn sie sich anschließend zufällig begegneten, versuchte Don Eusebio, seinem ehemaligen Schüler auszuweichen, und wenn ihm das nicht gelang, gingen beide aneinander vorbei, ohne sich zu grüßen, wie zwei Fremde. Bis die Beamten der Guardia Civil in einer Frühlingsnacht 1946 Regalito abholen wollten und, da sie ihn nicht zu Hause antrafen, seinen Vater Pesetilla mitnahmen. Noch in derselben Nacht ging sein Sohn in die Berge, und dort war er jetzt immer noch.
»Er muss es sein«, sagte Vater anderthalb Jahre später wieder und wieder. »Es muss Regalito sein, denn es war er, der …«
Weiter kam er nicht, an diesem Punkt stockte er immer, und wenn Mutter fragte, winkte er mit der rechten Hand ab, um klarzustellen, dass er nichts mehr sagen würde. Aber wir fragten nur selten danach, denn wir wussten, was er dachte, und außerdem hatte jeder von uns gute Gründe, das Thema zu wechseln, auch wenn ich meine niemandem verraten konnte.
Die Kinder des Kapitän Grant . Ein dickes Buch mit einem Umschlag aus rotem Leinen mit aufgeklebter bunter Illustration. Zwei blonde Kinder, ein Herr, der wie ein zerstreuter Professor aussah, ein Schiffskapitän und zwei Matrosen bewegten sich mit seltsamen Stahlteilen unter den Schuhsohlen über eine Eisfläche, und das in einer völlig unpassenden Landschaft: Palmen im Hintergrund, ein Strand voller Möwen, ein Schiff in der Ferne, und dahinter ein Berg, auf dem Indianer mit Federn auf dem Kopf abgebildet waren.
»Was ist das?«, fragte ich mich laut. Der Portugiese war soeben hinter mir ins Haus gekommen.
»Ein Buch.«
Die Leute sagen immer, in Andalusien sei es bloß warm, aber in meinem Dorf schwitzten wir uns im August zu Tode. Die Sonne brannte wie das Folterinstrument eines alten Racheengels auf uns herab. Es war mehr als nur das Licht, das auf die getünchten Wände prallte, als wollte es sie nach und nach verflüssigen, mehr als nur Hitze und Schweiß, der unsere Kleidung durchtränkte, sobald wir einen Fuß auf die Straße setzten. Es fühlte sich an wie etwas Festes, Metallisches, wie ein Hammer aus Flammen auf dem Kopf, wie ein unsichtbares Feuerband, das gleichermaßen grausam auf und unter der Haut brannte. Dieses Martyrium wollte uns Mutter ersparen, wenn sie uns verbot, nach dem Mittagessen auf die Straße zu
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