Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
Vom Netzwerk:
nicht mit ihr spielen wollten, warum sie ihr den Rücken zuwandten, sie nicht grüßten, warum Mutter ihr immer dasselbe sagte, mach dir nichts draus, die wollten gerade nach Hause laufen, wahrscheinlich hat ihre Mutter sie gerufen. So war das Leben, wenn der Tod einem nicht dazwischenfunkte, und der Tod kam immer nachts, in den dunklen Stunden, den langen, wilden Stunden der Schlösser und Riegel und des elektrischen Lichts, den grausamen Stunden langgezogener Vokale und der Männer ohne Herz, denn das hatten sie unter dem Kopfkissen auf dem gefalteten Schlafanzug liegen lassen, um es erst am Morgen abzuholen, wenn sie sich zurückverwandelten in das, was sie zuvor gewesen waren, Pantoffelhelden, brave Jungs, gute Männer. So war das Leben, und Vater hatte recht, Fernandas flehentliches Bitten war ein Albtraum gewesen, der Tod ihres Bruders Laureano war einer und auch der des Vaters dieser beiden, ein Albtraum, aus dem Fuensanta de Martos am nächsten Tag erwachte, im Gegensatz zu ihnen. Sie wachten nie mehr auf.
    So kann es nicht weitergehen, sagte Mutter immer, so kann man nicht leben, aber so lebten wir, so standen wir jeden Morgen auf, so klagten wir über die Hitze oder die Kälte, und wenn wir keinen Schlaf gefunden hatten, sagten wir nichts, weil die Nacht ein Albtraum gewesen war, aber auf die Nacht folgte der Tag, und dann kam die Sonne heraus, um Licht in das Leben eines gewöhnlichen Dorfes zu bringen, in dem gewöhnliche Menschen lebten, die gewöhnliche alltägliche Dinge taten. So konnte man nicht leben, die Männer standen früh auf, um auf den Feldern zu arbeiten, die Frauen weckten ihre Kinder, wuschen sie, kleideten sie an, kämmten sie, drängten sie, ihre Milch auszutrinken, wenn es überhaupt welche gab, und schickten sie anschließend in die Schule. Alle setzten Masken auf, um ihre Rolle zu spielen, als hätte ihnen die Nacht nicht das Herz gebrochen oder ihnen ein Stück von sich selbst genommen, als müssten sie dieses zerbrochene, schwere Ding, das schmerzte wie eine offene Wunde, die nicht heilen will, nicht auf ewig mit sich herumschleppen. So traten sie denen gegenüber, die nicht litten, die schliefen, ohne jedes Mal, wenn sie auf der Straße Schritte hörten, aufzuschrecken, die nicht Angst zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot aßen. Es war eine fabelhafte Inszenierung von Normalität, ein friedlicher, alltäglicher Mantel aus Hass, Wut und Grauen, eine erstickende Farce von Verzweifelten und Frauen, die lieber tot gewesen wären, aber lebten und weiterhin jeden Morgen aufstanden, um Trauer zu tragen.
    So kann man nicht leben, aber so lebten wir, und die Ruhepausen dazwischen, die Monate ohne Razzien, Festnahmen oder Beerdigungen, hatten nur einen Zweck: die Minuten, Tage und Wochen zu zählen und darauf zu warten, dass alles von neuem begann, die Lastwagen, die Patrouillen, das russische Roulette der unerwarteten Besuche, das nächtliche Klopfen an der Tür des Nachbarn oder auch der eigenen. Wir nehmen Ihren Mann für eine Aussage mit, Señora, aber keine Sorge, Sie bekommen ihn bald zurück. Jetzt kannst du gehen, aber da entlang, wo wir dich sehen können, die Schüsse im Morgengrauen. Ihr Mann hat versucht zu fliehen, Señora, er rannte los und ließ uns keine andere Wahl, als auf ihn zu schießen. Immer dieselben Worte, dieselben Verben, dieselben Adjektive, die abscheuliche, bürokratische Syntax des Terrors, das geschliffene Vokabular falschen Beileids, die lauwarme Höflichkeit der Mörder und die schwarzen Kleider, die früher oder später auf die Balkone zurückkehren würden, solange dieser Krieg andauerte, der nie enden würde. Denn niemand dachte daran aufzugeben, so stur Don Eusebio an bestimmten, festgelegten Tagen auch mit erhobener Stimme aufzählte, seit wie vielen Jahren wir Frieden hatten.
    So konnte man nicht leben, und trotzdem hatte das ungeschickt vorgetäuschte Leben seine eigenen, enggesteckten Regeln, Risiken und Gewissheiten, sichere Räume, die im voraus ausgehandelt wurden, so wie die Wand, die wir Kinder beim Fangenspielen berühren und dann gefahrlos »AUS!« rufen konnten. Tagsüber waren wir in Sicherheit. Solange die Sonne über den Himmel zog, konnte uns nichts Schlimmeres passieren, als eine Rolle Espartogras oder einen Korb voller Eier zu verlieren, kleine alltägliche Albträume, die der Nacht nicht das Monopol von Angst und Schmerz streitig machten. Deshalb spürte ich an jenem Nachmittag im Wachbüro, als Sanchís die

Weitere Kostenlose Bücher