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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Dinge befragte, von denen ich zuvor keine Ahnung gehabt hatte. Ich mache mir Sorgen, Nino, sagte sie hin und wieder, wir reden so viel, dass wir kaum Fortschritte machen. In Wahrheit wollte ich keine Fortschritte machen, weil ich nicht wollte, dass es zu Ende ging.
    »Ces six saucissons-ci sont six sous. Si ces six saucissons-ci sont six sous, ces six saucissons-ci sont chers.«
    »Lass mich endlich in Ruhe, verdammt!«
    Als Paquito an diesem Nachmittag wütend über den Hof davonstapfte, lachte Vater, doch am Abend sagte er, wenn ich erst einmal die Schreibmaschine beherrschte und er es sich leisten konnte, Doña Elena mir vielleicht diese Sprache beibringen könne, die französische Kinder bereits in der Wiege lernen. Seine Worte, in denen ein Versprechen mitschwang, brachen meinen Widerstand, und ich machte so große Fortschritte, dass Don Eusebio mir gelegentlich einen besorgten Blick zuwarf, als hätte ihn das Schicksal mit einem neuen Regalito bestraft.
    Am Ende des Kurses konnte ich bereits recht schnell einen zusammenhängenden Text schreiben, richtige Wörter, die einen Sinn ergaben, nicht absurde Fingerübungen, qwer und poiu, wie sie Sonsoles mir beigebracht hatte, ohne ein einziges Mal darauf hinzuweisen, wie wichtig es war, sich die Tastatur einzuprägen. In Stenographie kam ich nicht so rasch voran, aber manchmal schrieb ich einige der Sätze mit, die meine Eltern oder meine Schwestern beim Essen wechselten, und wenn ich ihnen anschließend das Heft zeigte, waren sie verdutzt. Ich hoffte, dass sich am Ende des Schuljahres der Fortschritt, der mich selbst erstaunte, in meinen Noten niederschlagen würde, doch der Lehrer war so knauserig wie ehemals, als er mir ein Ausreichend gab, weil ich versucht hatte, Paquito das Einmaleins zuzuflüstern.
    »Verzeihen Sie, Don Eusebio.« Noch vor wenigen Monaten hätte ich mich nicht getraut zu protestieren, doch ich tat es ganz natürlich, ohne an die Folgen zu denken, als er mir das Zeugnis gab und ich die Vier sah, die neben den vielen Zweien und Einsen auf den übrigen Seiten noch beschämender wirkte. »Ich bin mit meinen Noten nicht einverstanden. Ich weiß nicht, warum Sie mir in Geschichte ein Ausreichend gegeben haben, meine Prüfung war doch sehr gut.«
    Als ich mich auf die Prüfung vorbereitete, hatte Doña Elena zum ersten Mal einen der dicken Wälzer aus der entsprechenden Obstkiste genommen, deren rote Ledereinbände von weitem wie Samt aussahen und deren Rücken so zart waren wie die Haut eines Kindes.
    »Hier«, sagte sie, nachdem sie mit den Fingern zärtlich über den Umschlag gefahren war und es dann genau an der richtigen Stelle aufgeschlagen hatte, als würde sie den Inhalt auswendig kennen. » Der 2. Mai . Nimm es mit. Es wird dir nicht nur große Freude machen, sondern dir vielleicht auch helfen, besser zu verstehen, was damals geschah.«
    »Nein«, versuchte ich mich zu widersetzen. »Nicht nötig, ich weiß es sehr gut …«
    »Doch, du Dummkopf, nimm es mit.« Sie drückte es mir in die Hand. »Es wird dir gefallen, du wirst schon sehen.«
    Schließlich gab ich nach, nur um sie nicht zu enttäuschen, aber dieses Buch nahm ich nur ungern an. Erstens, weil es sehr teuer sein musste und ich Angst hatte, es zu beschädigen. Zweitens, weil es bestimmt nicht so spannend war wie die Abenteuerromane, die mich im dritten Regal neben der Treppe immer noch in Versuchung führten. Und schließlich, weil der Name des Autors mir keinerlei Vertrauen einflößte. Jules Verne war etwas anderes, er hatte den Vornamen eines Schriftstellers, wohlklingend und exotisch zugleich, und einen eleganten und einzigartigen Nachnamen, der keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeinem anderen Wort hatte, das ich täglich benutzte. Aber Benito? Benito war der Name für einen Tagelöhner oder einen Ladenbesitzer, so hieß der Trödler in unserem Dorf. Und der Nachname Pérez … Ich zum Beispiel hieß auch Pérez.
    »Ich habe es schon ausgelesen«, sagte ich Doña Elena zwei Tage später.
    »Was denn?«, fragte sie, während sie wie jeden Nachmittag die weißen Blätter aufeinanderlegte und die Ecken millimetergenau ausrichtete, damit keine hervorlugte.
    » Der 19. März und der 2. Mai .« Allein das Aussprechen des Titels verschaffte mir das Gefühl, es röche nach Schießpulver und Blut, nach Haut, die von den Kugeln der Stutzen gestreift worden war; ich hörte das Geschrei der Menschen, das Stampfen der Pferdehufe, das Schluchzen der Mütter, die Reden der Helden, die Küsse

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