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Der Feind

Titel: Der Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Therapeuten erwarten. Ein Mittel der Selbsttherapie war für Rapp, dass er sich nicht selbst belog. Er beschönigte nicht, was er tat, auch wenn andere dazu neigten. Jene, die sich mit Fragen der nationalen Sicherheit beschäftigten, bezeichneten ihn als Antiterror-Spezialisten. Er wusste, dass das eine nette Umschreibung dessen war, was er wirklich war: ein Killer. Ihm hatte das nie etwas ausgemacht, aber jetzt, da Anna schwanger war, begann er doch neu über seinen Beruf nachzudenken. Die Zeiten, in denen er einzig und allein an sich selbst zu denken brauchte, schwanden mit jedem Herzschlag des werdenden Babys, das seine Frau unter dem Herzen trug. Rapp hatte überhaupt keine Angst davor, Vater zu werden. Er war jedoch überrascht, dass er eine gewisse Melancholie verspürte, seit er die Neuigkeit erfahren hatte. Zuerst hatte er selbst nicht gewusst, woher dieses Gefühl kam, doch allmählich wurde es ihm klar. Der Grund war seine eigene unerfüllte Beziehung zu seinem Vater. Rapp wollte nicht, dass sein Kind den gleichen Schmerz durchmachen musste wie er, als er seinen Vater verloren hatte. Plötzlich sah er die Risiken, die er in seinem Job einging, mit ganz anderen Augen. Er hatte dagegen angekämpft, seit er sich in Anna verliebt hatte, aber jetzt konnte er es nicht länger leugnen. Er war es sowohl ihr als auch dem ungeborenen Kind schuldig, dass er aus der unmittelbaren Schusslinie trat. Sollten doch andere seine Aufgabe übernehmen und ihr Leben riskieren.
    Einen knappen Kilometer vor dem Ende seiner Laufstrecke passierte es. Rapp spürte einen stechenden Schmerz und verlagerte das Gewicht auf sein gesundes Bein, als sein linkes Knie ihm endgültig den Dienst verweigerte. Er murmelte ein paar leise Flüche vor sich hin, während er humpelnd zum Stillstand kam. Er war der Einzige, der zu dieser frühen Stunde schon unterwegs war, doch es war nicht seine Art, laut zu fluchen. Nach ein paar äußerst schmerzhaften Schritten wurde ihm klar, dass es sich um eine ernste Verletzung handelte, und so brüllte er doch noch ein kurzes »Scheiße!« heraus.
    Langsam und vorsichtig humpelte er zu seinem Haus an der Chesapeake Bay zurück. Die Vögel zwitscherten, und die Morgensonne warf lange Schatten über das taufeuchte Gras und wärmte sein Gesicht. Alles in allem hätte es ein wunderschöner Morgen sein können, doch das war es nicht. Er kam zu einer leichten Biegung und war überrascht, als er einen Mann und eine Frau etwa fünfzig Meter vor sich sah. Die Frau stand vornübergebeugt da, und der Mann hatte ihr die Hand auf den Rücken gelegt. Zwei Mountainbikes lagen neben ihnen am Straßenrand. Nicht dass es so ungewöhnlich gewesen wäre, auf dieser Straße jemandem zu begegnen, aber es war fast immer jemand, den er kannte. Sehr oft sah er Mr. und Mrs. Grant, beide im Ruhestand, die früh aufstanden und mit ihren beiden Labradorhunden spazieren gingen. Genauso oft traf er Mrs. Randal, die oft stundenlang im Schritttempo dahinjoggte, und noch ein paar andere Leute, die Rapp nicht allzu gut kannte. Er war stets höflich, blieb aber nie stehen, um zu plaudern.
    Rasch wechselte er auf die andere Straßenseite und bemühte sich, sein linkes Bein so wenig wie möglich zu belasten. Seine Hand wanderte an die Gürteltasche, in der er eine FN-Five-Seven-Pistole mit sich trug. Die Waffe war mit zwanzig panzerbrechenden Kugeln vom Kaliber 5.7 x 28 mm geladen. Rapp öffnete den Reißverschluss und ließ seine linke Hand an der Tasche. Jeder Handgriff kam völlig automatisch. Er musterte die beiden jungen Leute etwas genauer; der Frau schien übel zu sein, was durchaus auch ein klassisches Ablenkungsmanöver sein konnte. Es war ihm längst zur Routine geworden, alles, was ihm widerfuhr, mit einigem Misstrauen zu betrachten und stets mit dem Schlimmsten zu rechnen.
    Es gab grundsätzlich drei verschiedene Arten, jemandem aufzulauern. Die erste und am häufigsten praktizierte Möglichkeit bestand darin, jemanden aus dem Hinterhalt anzugreifen. Die zweite Möglichkeit war, jemanden in eine Falle zu locken, was theoretisch bei diesen beiden Leuten der Fall sein konnte. Man tat so, als wäre man in Schwierigkeiten, und wenn das Opfer seine Hilfe anbot, konnte man leicht zuschlagen. Die dritte Möglichkeit bestand darin, die Zielperson auf irgendeine Weise abzulenken und dann von einer anderen Seite her zuzuschlagen. Im Moment war es das, was Rapp am meisten fürchtete.
    Höchstwahrscheinlich waren diese beiden nur ein harmloses

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