Der Feind
komplizierte Geschichte, Prinz Muhammad«, antwortete Ross und holte tief Luft. »Sagen wir’s mal so – es gibt ein paar Leute, die der Ansicht sind, dass die Explosion kein Unfall war.«
»Dann hat jemand versucht, ihn zu töten?«
»Es sieht zumindest so aus«, antwortete Ross wenig begeistert.
»Sie scheinen aber nicht überzeugt davon zu sein.«
Ross verdrehte die Augen. »Der Mann hat viele Feinde. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass ihn jemand töten will.«
Rashid war schockiert, dass Rapp noch am Leben war, aber auch darüber, das Ross sich über das Überleben seines Landsmanns ganz und gar nicht zu freuen schien. Vielleicht konnte er Ross noch etwas mehr entlocken. »Mark«, begann er, »Sie scheinen sich wegen der Sache Sorgen zu machen.«
»Das stimmt.«
»Darf ich fragen, warum?«
Ross überlegte einige Augenblicke. Er war hier, um eine Beziehung aufzubauen, und das war nur möglich, wenn er wirklich offen war. »Mitch Rapp ist ein sehr gefährlicher Mann. Er neigt ohnehin dazu, relativ eigenmächtig vorzugehen. In der jetzigen Situation fürchte ich, dass sich das noch verstärken wird.«
»Sie glauben, dass er sich an demjenigen, der seine Frau getötet hat, rächen will?«
Ross nickte. »Ich kann ihn irgendwo verstehen, aber wir können es trotzdem nicht zulassen, dass er durch die Gegend rennt und Leute exekutiert. Das würde die Vereinigten Staaten in eine sehr ungünstige Position bringen.«
Rashid nickte zustimmend. »Gibt es denn irgendwelche Hinweise?«
»Es gibt ein kleines Detail, das darauf hindeutet, dass der Täter ein Landsmann von Ihnen sein könnte. Aber die Spur ist so dürftig, dass ich mich nicht einmal an den Namen des Mannes erinnere.«
Rashid bemühte sich verzweifelt, ruhig zu bleiben. »Was hat dieser Mann getan?«
»Er hat offenbar einen Preis auf Rapps Kopf ausgesetzt. Aber ich bezweifle, dass er der Erste ist, der das getan hat.«
»War es ein Kopfgeld oder eine Fatwa?«, fragte Rashid schließlich. Er kannte mehrere islamische Geistliche, die eine Fatwa ausgesprochen hatten, um Rapps Tod zu fordern. Er hatte keine Ahnung, ob Ross den Unterschied kannte.
»Ein Kopfgeld. Der Mann ist sehr reich.«
Rashid hatte ein flaues Gefühl im Magen. »Warum sollte irgendein reicher Saudi Mitch Rapps Tod wollen?«
»Rapp hat offenbar seinen Sohn getötet – im vergangenen Frühling bei einer Anriterror-Operation in Afghanistan.«
Für einen Moment verschwamm dem Prinzen alles vor den Augen. Als er sich wieder gefasst hatte, sagte er: »Nennen Sie mir den Namen des Mannes, und ich werde sehen, was ich herausfinden kann.« Rashid kannte den Namen nur zu gut, doch er musste weiter den Ahnungslosen spielen. »Es ist nicht gut, dass solche unberechenbaren Leute uns so große Probleme machen.«
»Nein, das ist gar nicht gut.«
Rashid legte seine Serviette auf den Tisch, schob seinen Sessel zurück und stand auf. Ross tat es ihm gleich, und die beiden Männer schritten jeder auf seiner Seite des Tisches zur Tür. Rashid griff nach Ross’ Arm und sagte mit ernster Miene: »Dieses Töten muss ein Ende haben. Das schadet unseren beiden Ländern.«
»Da gebe ich Ihnen völlig recht.«
»Ich verspreche Ihnen, dass ich der Sache auf den Grund gehen werde. Falls irgendein Saudi etwas damit zu tun hat, wird er bestraft werden.« Rashid blieb stehen und wandte sich dem Direktor der National Intelligence zu. »Ich muss Sie aber auch warnen; Mitch Rapp darf sich nicht in die Angelegenheiten Saudi-Arabiens einmischen.«
»Das verstehe ich, und ich habe auch schon mit dem Präsidenten gesprochen.«
»Gut.«
Die beiden Männer traten in die große Eingangshalle, wo Ross’ Leute warteten. Rashid wandte sich Ross zu und sagte: »Wir haben viele schöne Pferde hier, aus denen Sie wählen können. Wenn Sie mich für ein paar Minuten entschuldigen – ich muss mich kurz frisch machen. Wir treffen uns dann unten an der Koppel.«
Der persönliche Assistent des Prinzen trat vor und bat die Gruppe mit einer Geste, ihm zu folgen. Als seine Gäste draußen waren, eilte Rashid zur Bibliothek zurück. Seine ruhige, ernste Fassade war verschwunden. Der Tag hatte so perfekt begonnen – und nun diese Katastrophe. Mitch Rapp würde sich so sicher in die Angelegenheiten Saudi-Arabiens einmischen, wie die Sonne am Abend unterging. Seine Frau war tot, und er war am Leben. Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. Rashid trat rasch in die Bibliothek ein und knallte die
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