Der Feind
Tür hinter sich zu. Tayyib ging mit gesenktem Kopf hinter dem Schreibtisch auf und ab. Neben einer offenen Aktentasche lag ein Kopfhörer auf dem Schreibtisch. Die Vorhänge auf beiden Seiten des Zimmers waren zugezogen.
»Hast du alles gehört?«, fragte Rashid.
»Ja.«
»Kann es sein, dass das eine Falle ist? Um zu sehen, ob ich etwas damit zu tun habe?«
»Möglich wäre es, aber ich würde es eher bezweifeln.«
»Was würdest du empfehlen, wie wir vorgehen sollen?«
»Der Deutsche muss sterben.«
»Kümmere dich darum.«
»Und ich bedauere, Ihnen raten zu müssen, dass auch Saeed Ahmed Abdullah ein verfrühtes Ende finden sollte.«
Es ging um Rashids ältesten und engsten Freund, einen treuen Wahabi und einen guten Mann. Nein, er konnte ihn nicht opfern. »Nein. Du hast gehört, was Ross gesagt hat. Ihre Hinweise sind sehr dünn. Und die Zahl der Leute, die Mitch Rapps Tod wollen, geht in die Millionen. Die Amerikaner können wohl kaum jeden Einzelnen verfolgen.«
»Aber in diesem Fall liegen sie eben leider richtig.«
»Ich werde gleich heute Abend in die Heimat zurückkehren und mit Saeed sprechen. Die Amerikaner werden niemals irgendetwas beweisen können.«
»Mitch Rapp wird keine Beweise brauchen«, erwiderte Tayyib in düsterem Ton. »Er wird anfangen, Leute zu töten und zu foltern, bis er herausfindet, wer dahintersteckt.«
»Ross sagt, der Präsident hat ihm befohlen, sich aus der Sache herauszuhalten.«
»Rapp hat sich noch nie um Befehle gekümmert. Und jetzt, wo seine Frau tot ist, können ihn die Amerikaner sicher nicht mehr im Zaum halten.«
»Dann muss er sterben«, versetzte Rashid.
Tayyib nickte. »Ich kenne zwei Schutzhäuser der CIA in Virginia. Das eine ist ganz in der Nähe. Ich habe nach dem elften September mitgeholfen, Gefangene dort zu verhören. Es sind gut befestigte Anlagen, aber nicht besonders stark bewacht.«
»Er muss sterben«, stieß Rashid hervor.
Tayyib überlegte einige Augenblicke und sagte schließlich: »Es wird sehr viel Geld kosten, und es wird einiges Aufsehen erregen.«
»Das ist mir egal – wenn nur Rapp stirbt und keine Spur zu uns führt.«
»Ich werde mich darum kümmern.«
48
VENEDIG, ITALIEN
Die allgemeine Öffentlichkeit nahm von der Nachricht von Rapps Wiederauferstehung zunächst kaum Notiz. Die Meldung wurde zuerst nur während des regulären Programms der Nachrichtensender am unteren Bildrand eingeblendet. Die Geheimdienste waren nicht gerade stolz darauf, auf diese banale Weise zu der Information zu kommen, doch andererseits bezogen sie einen großen Teil ihres Materials von den Fernsehsendern. Als die Leute, deren Aufgabe es war, die einzelnen Kanäle im Auge zu behalten, auf die Meldung stießen, schlugen sie sofort Alarm. Die Telefone liefen heiß, E-Mails gingen zwischen gut gesicherten Gebäuden hin und her und wurden auch über die Grenzen hinaus verschickt. Die Agenten der internationalen Spionagegemeinde arbeiteten zwar oft für unterschiedliche Ziele, doch aufgrund der besonderen Merkmale ihres Jobs entwickelten sie doch oft ein Gefühl der Verbundenheit untereinander. Die Aufgabe einer jeden dieser Organisationen war es, Informationen zu sammeln und weiterzugeben, und zwar nicht nur an die eigene Regierung, sondern auch an die Vertreter der engsten Verbündeten. Rapp war in diesen Kreisen so etwas wie eine Legende und wurde von Freund und Feind bewundert.
Die Nachricht, dass man ihn getötet hatte, war recht unterschiedlich aufgenommen worden. Manche hielten seinen Tod für unvermeidlich; wer so aggressiv gegen religiöse Fanatiker kämpfte, konnte einfach nicht überleben. Die wenigen, die Rapps Zielen und Methoden feindlich gegenüberstanden, begrüßten seinen Tod, doch die meisten reagierten betrübt auf die Meldung. Er war schließlich einer von ihnen, und sein Tod erinnerte sie wieder einmal daran, wie gefährlich ihr Job war. Es gab an der Geschichte jedoch noch ein anderes Detail, das vielen von ihnen sauer aufstieß. Rapps Frau war bei dem Anschlag ebenfalls ums Leben gekommen, und es gab in diesem Geschäft ein ungeschriebenes Gesetz, nach dem man Angehörige aus dem Spiel zu lassen hatte. Diejenigen, die Rapp ausgeschaltet hatten, waren zu weit gegangen, und so hofften die meisten dieser Männer und Frauen, als die Nachricht von Rapps Überleben kam, dass er die Killer zur Rechenschaft ziehen würde.
Als ehemaliger Stasi-Offizier, der auch heute noch, wenn auch selbstständig, in dem Geschäft tätig war,
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