Der Feind
gehörte auch Erich Abel dieser Bruderschaft an – und es gab wohl niemanden in diesen Kreisen, der so überrascht war wie er, als die Meldung kam, dass Rapp noch lebte. Sein Tag hatte sehr angenehm begonnen; er hatte wieder einen langen Spaziergang durch Venedig unternommen und über seine nächsten Schritte nachgedacht. Er würde eine kleine Villa in Südfrankreich kaufen und sein Haus in Zürich behalten. Die Wohnung in Wien würde er jedoch zum Verkauf anbieten und sein Büro in der Stadt schließen. Es gab einfach zu viele Saudis in Wien, und es war Zeit, diese Verbindung zu beenden. Es war eine äußerst einträgliche Geschäftsverbindung gewesen, aber er traute Rashid einfach nicht mehr. Der Mann befand sich in einem Heiligen Krieg, in dem für ihn jeder ersetzbar war außer ihm selbst.
All das hatte er bereits beschlossen, bevor ihn die Nachricht, dass Rapp noch lebte, wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. Abel war gerade auf dem Weg zurück ins Hotel, nachdem er einige Kunstgalerien aufgesucht hatte, um nach interessanten Stücken zu suchen, als er sein Handy einschaltete, um zu sehen, ob neue Nachrichten gekommen waren. Aus Sicherheitsgründen hatte er sein Telefon ausgeschaltet mit sich getragen und es nur einige Male kurz eingeschaltet. Er wusste augenblicklich, dass irgendetwas nicht stimmte, als er sah, dass er elf neue Voicemail-Nachrichten und sechzehn neue E-Mails bekommen hatte. Die ersten vier Botschaften stammten von seiner Sekretärin in Wien, die ihm eine Liste der Leute schickte, die inzwischen versucht hatten, ihn zu erreichen – fast alle von ihnen Saudis. Die fünfte Nachricht kam von Saeed Ahmed Abdullah, und sie hörte sich gar nicht gut an. Der Mann verlangte ziemlich aufgebracht, dass entweder der Auftrag zu Ende geführt oder die gesamten zweiundzwanzig Millionen Dollar zurückgegeben werden sollten. Offenbar erinnerte er sich nicht mehr an ihre Abmachung, dass die Hälfte des Geldes eine Anzahlung war, die in keinem Fall zurückzuzahlen war. Der sechste Anruf kam von Prinz Muhammad bin Rashids persönlichem Assistenten, und der Rest von allen möglichen Leuten. Die E-Mails boten alles in allem das gleiche Bild. Als Abel wieder in seinem Penthouse war, sah er sich gezwungen, die Tatsache zu akzeptieren, dass Mitch Rapp den Anschlag überlebt hatte. Abel wusste nicht, wie es zugegangen war, dass er der Explosion entronnen war, und es war ihm eigentlich auch egal. Die bittere Realität war, dass der Mann überlebt hatte und dass Abels Welt in Scherben vor ihm lag.
Abdullah verlangte in einer seiner Nachrichten, dass der Auftrag zu Ende geführt werden müsse. Abel dachte nur kurz darüber nach, inwieweit dies machbar war. Es war eine Sache, Rapp aufs Korn zu nehmen, wenn er nichts ahnte – etwas ganz anderes war es jedoch, das Gleiche zu versuchen, nachdem er nun gewarnt war. Schon vor dieser Katastrophe war Abel zu dem Schluss gekommen, dass er Prinz Rashid nicht mehr trauen konnte. Deshalb war er auch hierher nach Venedig gekommen, wo er sich unter falschem Namen in einem Hotel einquartiert hatte und nur noch in bar zahlte. Jetzt, wo die Sache schiefgegangen war, wollte Rashid ihn mit Sicherheit aus dem Weg räumen. Abel begann seinen Koffer zu packen und überlegte, wie schnell die Saudis ihm auf die Spur kommen konnten. Ihre Geheimdienste arbeiteten gut innerhalb des Königreichs, doch im Ausland waren sie nicht sehr schlagkräftig. Rashid würde schon jemanden wie Abel anheuern müssen, was wiederum Zeit brauchte.
Abel schloss den Koffer und trat an das große Fenster, wo er wieder eines von diesen Kreuzfahrtschiffen vorüberziehen sah. Ganze Reihen von gesichtslosen Menschen standen an den Relings und knipsten Fotos, winkten und glotzten. Das Schiff war riesig. Abel dachte sich, wie einfach es wäre, auf einem solchen Schiff zu verschwinden. Unter den unzähligen Touristen würde ihn niemand je aufstöbern können. Er würde als frisch geschiedener Mann reisen, der über eine desaströse Ehe hinwegzukommen versuchte – eine Tarnung, die er schon früher benutzt hatte und mit der er im Übrigen auch jetzt schon unterwegs war. Das hatte er im Hotel als Grund angegeben, warum er in bar zahlen und sich unter einem falschen Namen einquartieren wollte. Er hatte dem Hotelmanager erläutert, dass er gerade eine ziemlich unschöne Scheidung durchmache und dass er beschlossen habe, lieber eine Luxusreise durch Europa zu unternehmen, als auch nur einen Penny an dieses elende Weib zu
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