Der Feind
Zorn im Zaum zu halten. Sie ging nicht auf die Frage ein und kam gleich zu dem Teil, der ihn wirklich in Rage bringen würde. »Bitte, bleib einen Moment lang ruhig, damit ich dir alles erzählen kann, und wenn du mich dann verlassen willst, werde ich es verstehen.«
»Ich werde dich nicht verlassen«, erwiderte er fast so, als müsse er es sich selbst einreden.
Claudia griff nach seinen Händen. »Wir haben doch immer alles gemeistert … nicht wahr?«
Er nickte.
Sie wusste nicht, wie sie es am besten hätte sagen sollen, und so wählte sie den direkten Weg. »Ich habe fünf Millionen Dollar auf ein Schweizer Konto überwiesen, das ich auf Rapps Namen eröffnet habe.«
Louie konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. »Fünf Millionen Dollar.« Er tat, was er konnte, um ruhig zu bleiben. Er liebte die Frau, die da vor ihm stand. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte er sie jetzt einfach über die Mauer gestoßen und mit Vergnügen zugesehen, wie ihr Kopf an den Felsen zerbarst. »Warum?«
»Unser Baby.«
»Was hat es mit unserem Baby zu tun, dass du Mitch Rapp fünf Millionen Dollar gibst?«, fragte Louie nun etwas lauter.
»Ich wollte etwas tun, um es gutzumachen … und um Zeit zu gewinnen.«
»Zeit zu gewinnen«, sagte Louie stirnrunzelnd. »Wie gewinnen wir dadurch Zeit?«
»Du weißt, dass er uns verfolgen wird.«
»Soll er doch«, erwiderte Louie mit leiser, aber zorniger Stimme.
Claudia schüttelte den Kopf. »Das meinst du nicht wirklich. Das ist kein gewöhnlicher Mann. Wir haben seine Frau getötet. Seine schwangere Frau. Was würdest du tun, wenn mich irgendjemand hier und jetzt töten würde?« Claudia sah ihn einen Moment lang gespannt an. »Wir wissen beide, dass du nicht eher ruhen würdest, als bis du den Kerl mit bloßen Händen getötet hättest. Wenn Mitch Rapp uns findet, wird er uns beide töten.«
»Und du meinst, dass du ihm fünf Millionen Dollar geschickt hast, wird ihn davon abbringen?«
»Nein«, antwortete sie, »wie gesagt, es wird uns ein bisschen Zeit verschaffen.«
»Zeit?«, fragte er, immer noch nicht begreifend, worauf sie hinauswollte.
Claudia legte seine Hand auf ihren Bauch. »Ich habe um neun Monate gebeten«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihn gebeten, unser Baby zu verschonen. Ich will unser Kind zur Welt bringen und es in den Armen halten, und was immer er dann mit uns tun wird – ich werde es akzeptieren.« Sie spürte ein wenig Verständnis bei Louie. »Diese fünf Millionen Dollar gehören ja nicht einmal uns«, fügte sie angewidert hinzu. »Ich wollte den Auftrag sowieso nie annehmen, und wir haben ihn auch nicht zu Ende geführt. Wenn es nach mir ginge, würden wir ihm das ganze Geld geben.«
»Wir brauchen das Geld«, erwiderte Louie in überraschend ruhigem Ton. Er verstand nun die mütterlichen Gefühle, die sie zu dem Schritt bewogen hatten. Ihre Worte hatten seine eigenen väterlichen Gefühle geweckt – den unbedingten Wunsch, Claudia und das ungeborene Baby zu beschützen. Er fand ihr Vorgehen ungemein leichtsinnig, aber es ließ sich nun ohnehin nicht mehr ändern. Ihre Motive waren jedenfalls rein gewesen.
Louie küsste sie auf die Stirn. »Ich liebe dich trotzdem«, sagte er.
Claudia schmolz in seinen Armen dahin. »Danke, Liebling.«
Sie standen einige Minuten schweigend da, ehe Claudia sagte: »Gehen wir zurück ins Bett.«
Louie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Warum?«, fragte sie in plötzlicher Angst, dass er sie doch verlassen könnte.
»Wir müssen sofort weg von hier. Pack deine Sachen.«
66
RIAD, SAUDI-ARABIEN
Sein erster Gedanke war, dass man sie hinters Licht führen wollte, dass man ihnen eine falsche Information zuspielte, um sie auf eine Spur zu führen, die im Nirgendwo versandete, damit sie wertvolle Zeit vergeudeten. Es missfiel ihm außerdem, irgendeinen noblen Zug bei den Mördern seiner Frau zu vermuten. Trotzdem blieb die Tatsache, dass jemand fünf Millionen Dollar auf ein Konto überwiesen hatte, das auf seinen Namen eröffnet worden war. Und es gab laut Irene Kennedy eine aufrichtige Entschuldigung und eine Bitte – ausgesprochen von der Frau, die Rapp damals in der Nähe seines Hauses gesehen hatte, wie sie sich gerade übergab. Rapp hatte in all den Jahren einiges mitgemacht und auch merkwürdige Dinge erlebt, aber über das, was er soeben erfahren hatte, konnte er nur den Kopf schütteln. Es ergab einfach keinen Sinn. Hätte er etwas mehr Zeit gehabt, so hätte er versuchen können, der
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