Der Feind
Rashid.« Abel sprach den Namen in verächtlichem Ton aus. »Rapp wird Mühe haben, mich zu finden. Sie hingegen sind nicht schwer aufzuspüren.«
»Erich, überlegen Sie, was Sie tun. Sie wollen mich sicher nicht zum Feind haben.«
»Und Sie wollen sicher nicht wie Ihr Freund Saeed enden, also überweisen Sie mir die elf Millionen bis siebzehn Uhr, sonst verspreche ich Ihnen, dass Rapp erfahren wird, dass Sie die ganze Sache eingefädelt haben. Ich schicke Ihrem Assistenten meine Anweisungen, wohin ich das Geld haben will.«
»Geben Sie mir wenigstens bis morgen Abend Zeit. Ich bin reich, aber längst nicht so reich, wie es Saeed war. Ich brauche Zeit.«
»Morgen Mittag! Mehr Zeit haben Sie nicht.«
Abel beendete das Gespräch und warf das Telefon aufs Bett. Er faltete die Hände hinter dem Nacken, drehte noch einige Runden durch das Zimmer und griff dann nach seinem Koffer. Er musste verschwinden. Er brauchte Bargeld, aber den Banken konnte er nicht mehr trauen. Das bedeutete, dass er sein Haus in den Alpen aufsuchen musste, wo er fast 100000 Dollar im Safe liegen hatte. Das würde reichen, um die nötigen Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen zu lassen und sich eine neue Identität zuzulegen. Hoffentlich würde Rashid so vernünftig sein, ihm das Geld zu überweisen. Er wollte nicht den Rest seines Lebens damit zubringen, vor Mitch Rapp wegzulaufen.
69
IM WEISSEN HAUS
Irene Kennedys gepanzerte Limousine fuhr am Südwesttor vor. Die Secret-Service-Leute waren es gewohnt, sie kommen und gehen zu sehen – dennoch überprüften sie den Kofferraum des Wagens, ehe sie sie weiterfahren ließen. Kennedy war schon so oft im Weißen Haus gewesen, dass sie schon vor Jahren aufgehört hatte mitzuzählen. Es gab jedoch immer noch Momente, so wie heute, in denen sich ihr Puls beschleunigte und sie ein flaues Gefühl im Magen hatte. Bei den meisten Besuchen ging es lediglich darum, einen kurzen Bericht über die Arbeit ihres Geheimdiensts abzuliefern. Gelegentlich gab es eine Krise zu bewältigen, doch in den meisten Fällen beschränkte sie sich darauf, den Präsidenten und den Rest des nationalen Sicherheitsteams zu informieren und zu beraten.
An diesem Nachmittag kam sie jedoch nicht zu einem Routinebesuch hierher. Heute stand viel auf dem Spiel, und sie bekam es mit einigen der mächtigsten Vertreter der politischen Klasse in Washington zu tun. Vor allem drei Leute hätten sie nur zu gerne abserviert – der Direktor der National Intelligence, die Außenministerin und der Justizminister. Zu allem Überfluss war sie auch noch müde von ihrer jüngsten Auslandsreise. In nicht einmal sechzehn Stunden war sie von Washington nach Zürich und wieder zurück geflogen. Wenn man dann noch bedachte, was mit Anna Rielly passiert war, dass das Safe House angegriffen worden war und dass man ihr einen Chef vorgesetzt hatte, der keine Ahnung hatte, was er tat, dann war es nicht weiter verwunderlich, dass sie völlig erschöpft und ausgelaugt war. Kennedy wäre viel lieber direkt nach Hause zu ihrem Sohn gefahren und dann früh zu Bett gegangen, aber dieses Treffen ließ sich einfach nicht verschieben. Diese Leute waren zu aufgebracht, und in gewisser Weise freute sie sich fast darauf, ihnen endlich einmal einen kleinen Denkzettel verpassen zu können. Sie hatte von Mitch Rapp gelernt, dass es manchmal nicht schadete, auf Konfrontationskurs zu gehen. Vor allem, wenn man gute Karten hatte.
Irene Kennedy blickte auf ihre Uhr; es war Montag, 17:18 Uhr. Zum Glück hatte sie wenigstens im Flugzeug ein paar Stunden schlafen können. Als sie sich entschlossen hatte, der Spur nach Zürich zu folgen, tat sie das in dem beruhigenden Wissen, dass der Präsident sie wenigstens inoffiziell unterstützen würde. Sie war stets bereit, die üblichen Spielchen mitzumachen und sich artig zu verbeugen, wenn man das von ihr erwartete und wenn die Kabinettsmitglieder und andere wichtige Leute dann zufrieden waren. Immerhin war sie auch eine wichtige Person, wenngleich ihr das in diesem Fall auch nicht helfen würde. Diese Leute standen über ihr, und sie hatte die unverzeihliche Sünde begangen, zu handeln, ohne sie vorher einzuweihen. Sie fühlten sich übergangen und fürchteten, dass Kennedys Eigenmächtigkeit sie schlecht aussehen ließ.
Die CIA-Direktorin ließ ihre große Aktentasche auf dem Rücksitz der Limousine und griff stattdessen nach einer braunen Ledermappe. Sie stieg aus dem Wagen und nahm sich einen Moment Zeit, um sich zu
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