Der Feind
betrachtet, an den er sich zurückziehen konnte, wenn ihn das Glück einmal verließ. Im Laufe der Zeit hatte er jedoch andere Leute, wie zum Beispiel Petrow, hierherkommen lassen, und schon allein aus diesem Grund war es kein sicherer Zufluchtsort mehr. Fürs Erste würde er das Haus jedoch behalten.
Es gab viele schöne Plätze auf dieser Welt, doch Abel hatte nun einmal eine Vorliebe für Europa. Vor allem in den Gegenden rund um die Schweiz fühlte er sich wohl – in Norditalien, Süddeutschland, Österreich und Frankreich. Andererseits wäre wahrscheinlich Südamerika die logische Wahl gewesen. Der Kontinent war praktisch unberührt vom Terrorismus, und die Kontrollmethoden waren noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Einreise mit einem gefälschten Pass schwierig gewesen wäre. Die großen Städte, wo man als Europäer leicht untertauchen konnte, wie etwa Rio oder São Paulo, zeichneten sich jedoch durch schlimmste Armut aus. Abel konnte Armut nur schwer ertragen. Er konnte große Menschenansammlungen nicht ausstehen und hatte eine innere Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen. Es widerte ihn an, wie die Massen dort ohne jede Selbstdisziplin unter den unsäglichsten Bedingungen aufeinanderklebten wie die Ratten und ein Kind nach dem anderen in die Welt setzten. Südamerika wäre wohl die klügste Variante gewesen, aber Abel wollte noch abwarten, ob es nicht eine bessere Lösung gab.
Am Montagmorgen dachte Abel verzweifelt darüber nach, wie er es anstellen konnte, doch noch in Europa zu bleiben. Nach dem warmen Wetter vom Wochenende war es nun merklich kühler geworden, sodass er praktisch allein am Strand war. Er wanderte bis zur Südspitze der Insel, die etwa sieben Kilometer von seinem Hotel entfernt war. Die Vorstellung, sich eine völlig neue Identität zuzulegen, gefiel ihm immer besser. Es war Zeit, ein neues Kapitel in seinem Leben zu beginnen. In Paris, Mailand oder Zürich gab es einige der besten plastischen Chirurgen der Welt. Er würde keine drastischen Veränderungen vornehmen lassen – vielleicht ein kleiner Eingriff am Kinn, eine neue Nase und ein Facelifting, sodass er insgesamt etwas jünger wirkte. Den Rest würde er mit einer neuen Garderobe bewerkstelligen. In den vergangenen zwölf Jahren hatte er einen zeitlos konservativen Stil bevorzugt. Vielleicht würde ihm ein etwas modischeres Outfit auch ganz gut zu Gesicht stehen. Die jüngeren Frauen schienen sich eher zu diesem Typ hingezogen zu fühlen.
Abel war kurz nach ein Uhr nachmittags wieder im Hotel und nahm das Mittagessen im Garten ein. Er bestellte einen leichten Salat und Bohnensuppe. In den vergangenen Tagen hatte er ziemlich üppig gespeist, und er beschloss, dass es Zeit war, zu seinen früheren Gewohnheiten zurückzukehren, sonst würde er in seinem zukünftigen Leben als beleibter Herr in Erscheinung treten. Er kannte einen erstklassigen Fälscher, der einst für die Stasi gearbeitet hatte. Der Mann war heute über siebzig, doch er war immer noch auf dem Laufenden, was die neuen Techniken in seinem Geschäft betraf. Der Mann lebte und arbeitete heute in Wien. Als er mit der Suppe fertig war, beschloss Abel, zuerst die Veränderungen an seinem Gesicht vornehmen zu lassen, sich danach einen Monat zu erholen, bis die Schwellungen zurückgingen, und dann den Fälscher aufzusuchen. Er würde als ganz neuer Mensch weitermachen, und wenn er es schaffte, sich auch noch eine entsprechende Vergangenheit zuzulegen, konnte er möglicherweise in Europa bleiben. Vielleicht in Südfrankreich oder Monaco, dann konnte er sein Leben mitten im Jetset verbringen.
Abel wischte sich die Mundwinkel ab und seufzte. Er hatte genug Zeit und Geld. Die Welt war groß, und es war sicher nicht schwer unterzutauchen. Der Kellner nahm das Geschirr mit und fragte, ob er noch etwas wünsche. Abel bestellte einen Cappuccino und beschloss dann, seine Finanzen zu überprüfen.
Er schaltete seinen Personal Digital Assistant ein, ging online und rief verschiedene Sites auf, die er regelmäßig aufsuchte. Seine Banken standen ganz oben auf dieser Liste. Abel klickte die erste Bank an und gab seine Kontonummer und das lange Passwort ein. Fünf Sekunden später starrte er auf seinen Kontostand.
Abel blinzelte einige Male. Das war einfach nicht möglich. Sein Herz begann zu rasen. Das musste ein Fehler sein. Er wollte schon direkt bei der Bank anrufen, überlegte es sich dann aber anders und sah auf einem anderen Konto nach. Abel umfasste das kleine
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