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Der Feind

Titel: Der Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Aufmerksamkeit wieder der Zeitung zuwandte. Er blickte über den Teich hinaus und dann nach links. Es waren nur wenige Leute zu sehen, doch niemand in unmittelbarer Nähe. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von seinem Ziel, und er nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass sich der Mann von ihm abwandte. Menschen waren unter allen Lebewesen wohl die Einzigen, die einem potenziellen Raubtier bereitwillig den Rücken zuwandten. Harry war fast ein bisschen enttäuscht darüber, wie einfach es ihm gemacht wurde.
    Er trat auf sein Ziel zu und folgte ihm lautlos ein paar Schritte, während der Mann auf eine Trauerweide zuging. Die Sache war fast schon lächerlich einfach. Dieser Baum mit seinen tief herabhängenden Zweigen war jene Stelle im Park, die sich am ehesten mit einer dunklen Gasse vergleichen ließ, und genau dorthin zog sich der türkische Geschäftsmann nun zurück. Kurz vor den äußersten Zweigen blieb er stehen und blickte zum Teich hinunter, wo er zweifellos erwartete, den Fußgänger vorbeigehen zu sehen, der ihn gerade bei seinem Telefongespräch gestört hatte.
    Der Killer streckte die Waffe in der Zeitung nicht aus. Er war zu erfahren, um so etwas nötig zu haben. Stattdessen neigte er die Zeitung nach vorn, bis der Lauf der Waffe im richtigen Winkel stand. Er drückte den Abzug und trat rasch vor. Die Hohlspitzkugel traf den Mann in den Hinterkopf und wurde durch den Aufprall abgeplattet und zum Doppelten ihres ursprünglichen Durchmessers erweitert, ehe sie das Gehirn durchdrang und zwischen dem zerfetzten linken Stirnlappen und dem Inneren des Schädels stecken blieb. Der türkische Banker wurde nach vorne geschleudert, doch einen Sekundenbruchteil später hatte der Killer seine Hand bereits um die Brust des Mannes gelegt. Mit der Hand, in der er die Zeitung hielt, bahnte er sich einen Weg durch das dichte Geäst und legte den Toten schließlich am Fuße des Baumes nieder. Harry überprüfte rasch, ob er selbst Blutflecken abbekommen hatte, obwohl er davon ausgehen konnte, dass er sauber war. Die Kugel war so konstruiert, dass sie im Körper blieb und nur eine kleine Eintrittswunde zurückließ.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, verließ er die Leiche und den Schutz des Baumes und beschleunigte seine Schritte. Nach etwa hundert Metern nahm er wieder Kontakt mit seiner Partnerin auf. »Hast du Zeit für ein vorgezogenes Mittagessen?«
    »Ja, das lässt sich machen.«
    »Gut. Ich bin hier fertig. Wir treffen uns dann in einer Viertelstunde am üblichen Platz.«
    »Okay, bis dann.«
    Auf dem Weg aus dem Park kam Harry an zwei Bobbys vorbei. Sie standen unter dem Bündel Luftballons und blickten konsterniert hinauf, während sie über Funk mit irgendeinem Vorgesetzten sprachen. Als der größere der beiden hochsprang, um die Ballons herunterzuholen, musste Harry sich das Lachen verkneifen. Es war der komischste Anblick, der ihm an diesem Tag bisher untergekommen war.

9
CHESAPEAKE BAY, MARYLAND
    Rapp saß mit einem Kugelschreiber in der linken Hand in einem abgenutzten Ledersessel, während es sich sein Hund Shirley vor ihm auf dem Fußboden bequem gemacht hatte. Er schrieb schon seit einer Stunde eifrig eine Idee nach der anderen nieder, von denen er manche wieder durchgestrichen, andere mit einem Kreis hervorgehoben hatte. Das trockene Holz im Kamin knackte und knisterte, während er schon an der sechsten Seite schrieb. Mindestens ebenso viele Seiten hatte er bereits vom Notizblock gerissen und ins Feuer geworfen. Er schrieb das alles nicht nieder, um über etwas Buch zu führen, sondern um sich die potenziellen Schwierigkeiten der Aufgabe, die vor ihm lag, bewusst zu machen. Die Gelegenheit, die sich ihm so unerwartet bot, barg durchaus ihre Risiken, doch man musste sie ganz einfach beim Schopf packen. Wie immer in seinem Job ging es vor allem darum, sich nicht erwischen zu lassen. Der Unterschied bestand darin, dass der Umfang der Operation diesmal viel größer sein würde. Diesmal ging es nicht darum, einzelne Personen auszuschalten, sondern ganze Gruppen. Für diese Operation musste man sich einen richtigen Schlachtplan zurechtlegen. Es durfte jedoch keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber geben – eine Maxime, die er von Thomas Stansfield gelernt hatte.
    Der verstorbene ehemalige Direktor der CIA war bekannt dafür, dass er nie einen Kugelschreiber bei sich hatte, und er ermahnte stets Mitarbeiter, die sich bei wichtigen Sitzungen Notizen machten. »Unser Geschäft

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