Der Feind
ist es, Geheimnisse zu bewahren, nicht welche preiszugeben«, pflegte er oft zu sagen. »Wenn Sie nicht imstande sind, sich zu merken, was gesagt wurde, dann haben Sie den falschen Beruf gewählt.«
Stansfield hatte Amerikas Feinde nie wirklich gefürchtet. Er respektierte sie für ihre Hartnäckigkeit und verachtete sie für ihre Rücksichtslosigkeit, aber er wusste immer, dass der Kapitalismus letztlich über den Kommunismus triumphieren würde. Was Stansfield jedoch fürchtete, waren die Opportunisten unter den amerikanischen Politikern, die jede sich bietende Gelegenheit ergriffen, um sich in Szene zu setzen. Diese Leute waren der wahre Feind – und dieser Feind saß mitten unter ihnen. Männer, die nicht zögerten, die Karriere und den Ruf von Leuten zu zerstören, die ihnen ein Dorn im Auge waren. Stansfield wusste jedoch genau, dass Menschen mit einem übersteigerten Ego stets auch eine Achillesferse hatten, an der man sie erwischen konnte.
Rapp hatte einmal das Gerücht gehört, dass Stansfield über ein Netzwerk von ehemaligen OSS- und CIA-Leuten verfügte, die für ihn einflussreiche Senatoren und Kollegen im Auge behielten und brisantes Material über sie sammelten. Es waren dies Männer, die zusammen mit Stansfield gegen die Nazis und später im Kalten Krieg auch gegen die Russen gekämpft hatten. Männer, die nichts von ihren alten Überzeugungen eingebüßt hatten und die nichts davon hielten, im Ruhestand die Hände in den Schoß zu legen. Männer, denen es Spaß machte, ihr Geschäft weiter ausüben zu können, zumal die betreffenden Zielpersonen keine schwierige Aufgabe darstellten. Die Akten, die Stansfield auf diese Weise angehäuft hatte, waren, so erzählte man sich, dermaßen brisant, dass man damit eine Menge Karrieren in Washington hätte zerstören können. Dieses Material war seine Versicherung gegen all jene, die die eigene Karriere vor die nationalen Sicherheitsinteressen stellten. Rapp nahm sich vor, noch einmal mit Irene Kennedy über die Akten ihres ehemaligen Chefs zu sprechen und bei Gelegenheit für eine ähnliche Versicherung für sich selbst zu sorgen.
Als weitere Vorsichtsmaßnahme hatte Stansfield jede Art von schriftlichen Aufzeichnungen vermieden. Wenn es Operationen durchzuführen galt, die sich nicht mehr im Rahmen der amerikanischen Gesetze bewegten, pflegte er zu seinen Mitarbeitern zu sagen: »Schriftliche Aufzeichnungen sind die Schlinge, mit der man euch exekutiert, wenn etwas schiefläuft. Wenn möglich, haltet nichts schriftlich fest und verbrennt alles, was mit der Sache zu tun hat.«
Rapp nahm sich diese Worte ebenso zu Herzen wie viele andere, die der Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg ihnen nahegelegt hatte. Stansfield hatte einst einem der berühmten Jedburgh-Teams angehört, jenen Fallschirmtruppen, die in Norwegen und Frankreich hinter den feindlichen Linien absprangen, um Informationen zu sammeln und den Nazis empfindliche Nadelstiche in Form von gezielten Anschlägen zu versetzen. Genau das hatte auch Rapp nun vor. Was man heute brauchte, war eine Strategie, die mehrere Ansätze gleichzeitig verfolgte. Es war recht und schön, einzelne Köpfe auszuschalten, Geldflüsse an Terroristen zu stoppen und Druck auf Staaten auszuüben, die im Kampf gegen den Terror untätig blieben – aber wenn man den Feind wirklich empfindlich treffen wollte, musste man eine Geheimoperation in viel größerem Rahmen starten. Eine Operation, deren vollen Umfang nur Rapp kennen würde.
Er riss ein weiteres Blatt ab, zerknüllte es und warf es in die Flammen. Er würde nicht einmal Irene Kennedy zur Gänze verraten, was ihm vorschwebte. Es war Zeit, dem Feind einen so schweren Schlag zu versetzen, dass er ernsthaft an seinen Möglichkeiten zu zweifeln begann. Man musste Unstimmigkeit und Streit im feindlichen Lager schüren. Es handelte sich um eine Ausweitung dessen, was er soeben in Kanada getan hatte. Man musste die Heuchler als das entlarven, was sie in Wirklichkeit waren, und ihre Autorität untergraben, sodass sie glaubten, es mit Rivalen im eigenen Lager zu tun zu haben.
Shirley hob den Kopf vom Teppich, auf dem sie lag, und im nächsten Augenblick hörte Rapp ein Geräusch von draußen. Er blickte auf die Uhr, während die Hündin schon loslief, um nachzusehen, was das Geräusch zu bedeuten hatte. Es war kurz vor acht Uhr abends. Das musste seine Frau sein, die von ihrem Marathon-Arbeitstag nach Hause kam. Die NBC-Korrespondentin für das Weiße Haus begann schon ganz
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