Der Feind
früh mit den Morgennachrichten und beendete die Arbeit spätabends mit den Abendnachrichten. Solange sich nichts Dramatisches im Weißen Haus ereignete, verlief der Rest des Tages ziemlich ruhig. Sie nahm sich für gewöhnlich eine ausgedehnte Mittagspause, die auch Einkaufen mit einschloss. Rapp hätte es nicht für möglich gehalten, dass eine einzige Frau so viele Paar Schuhe, Handtaschen und Kleider besitzen könnte – doch er hatte andererseits auch nie jemanden wie Anna gekannt, und er musste zugeben, dass die verschiedenen modischen Details ihre Schönheit nur noch mehr unterstrichen. In dem Wandschrank im Gästezimmer stapelten sich die Handtaschen – allesamt von Leuten mit ausländisch klingenden Namen entworfen, die in Rapps Augen fast schon so etwas wie Modeterroristen waren.
Er hatte sie einmal nach dem Preis für eine der Handtaschen gefragt, worauf sie etwas abwehrend geantwortet hatte: »Ich frage dich ja auch nicht, wie viel deine Pistolen kosten, oder?«
Rapp hatte darauf erwidert, dass er im Gegensatz zu ihr seine Waffen mehr als einmal benutzen würde und dass die Pistolen im Gegensatz zu den Handtaschen länger als nur eine Saison in Mode waren. Er erinnerte sich, dass er ziemlich stolz auf sich war, weil er so schlagfertig gekontert hatte, bis sie ihn auf ihre unnachahmliche Weise ansah. Anna Rielley hatte die grünsten Augen, die er je gesehen hatte. Sie konnten so ruhig und verführerisch sein wie ein Bergsee an einem heißen Sommertag, und so wild und unbändig wie eine Flutwelle, die über einem Boot niederging. Ihr Vater hatte ihm einmal gesagt, dass das ihr irisches Temperament sei. Was immer es war – Rapp liebte den einen Blick so sehr, wie er den anderen fürchtete. Er lernte rasch, dass ihn seine Frau bei Weitem nicht so witzig fand wie er sich selbst. Und er merkte ebenso schnell, dass es ihm nicht wirklich nützte, die kleinen Wortgefechte mit irgendeiner witzigen Bemerkung für sich zu entscheiden, weil er dafür bei den wirklich wichtigen Schlachten gehörig in den Hintern getreten wurde. Diese Schlussfolgerung brachte ihm eine wichtige Erkenntnis: Wenn Anna glücklich war, war er es auch. Wenn Anna wütend war, machte das Leben nicht wirklich Spaß. Wenn ihre Wut aber ihm galt, wurde ihm das Leben zur Qual.
Rapp ging noch einmal die letzte Seite durch, die er geschrieben hatte, und tippte mit dem Kugelschreiber auf eine bestimmte Zeile. Er hörte den Schlüssel im Schloss, blickte jedoch nicht auf. An Shirleys leisem Bellen und dem aufgeregten Tappen ihrer Pfoten erkannte er auch so, dass es Anna war. Morgen früh hatte er eine Sitzung mit Irene Kennedy, und er wollte dieses Problem lösen, bevor sie seinen Operationsplan zu zerpflücken begann. Er hörte, wie der Türknopf gedreht wurde, und als er aufblickte, sah er seine Frau mit ihrer großen gestreiften Kate-Spade-Schultertasche hereinkommen. Es war die einzige Tasche, die sie regelmäßig benutzte, was auch angebracht war, wenn man bedachte, dass das Ding mehr gekostet hatte als irgendeine Waffe, die er besaß, einschließlich der Sonderanfertigungen. In der anderen Hand hielt sie eine Handtasche und eine Einkaufstüte.
»Wie war dein Tag, Liebling?«, fragte er.
»Ganz okay.« Sie stellte die große Tasche auf den Boden und verstaute die Einkaufstüte in dem Wandschrank im Flur.
Rapp schüttelte den Kopf. An den Pastellfarben der Tüte konnte er erkennen, dass ihr Inhalt bestimmt nicht für ihn gedacht war. »Hast du was eingekauft?«, fragte er.
»Nein.« Sie zog die Jacke aus und sah ihn mit einem verschlagenen Lächeln an. »Hast du wieder jemanden umgelegt?«
»Heute noch nicht, Liebling, aber es wären ja noch ein paar Stunden Zeit. Was ist in der Tüte?«, fragte er und zeigte auf den Wandschrank. Rapp war nicht bereit, sie mit ihrem lahmen Versuch, ihre Schwäche vor ihm zu verbergen, so einfach davonkommen zu lassen.
Sie war bereits im Wohnzimmer, als sie stehen blieb und auf den Wandschrank im Flur zeigte. »Diese Tüte da?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe dich vor zwei Stunden angerufen. Warum hast du dich nicht gemeldet?«
Ein plötzlicher Themenwechsel war ein sicheres Zeichen von schlechtem Gewissen. Das wusste er deshalb so genau, weil er es selbst genauso machte. »Ich habe an etwas gearbeitet«, antwortete er und zeigte auf den Notizblock in seinem Schoß. »Was ist in der Tüte?«
»Hast du vergessen, dass wir uns heute Abend mit Philip treffen wollten?«
Philip war ihr
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