Der Feind
Korsika erfolgte bereits am nächsten Morgen. Er hatte nicht einmal mehr Gelegenheit, sich von Claudia zu verabschieden. Die Versetzung hatte einen bittersüßen Beigeschmack. Das Bittere daran war der Abschied von Claudia, das Süße, dass er nun dem Zweiten Fallschirmregiment angehörte, der Elite der französischen Fremdenlegion.
Als er auf Korsika ankam, blieb ihm kaum Zeit, um lange in Selbstmitleid zu versinken. Es war von hoher Stelle die Weisung ergangen, dass dieser Legionär einer besonders harten Ausbildung unterzogen werden sollte. Er brachte Monate damit zu, sich von Klippen abzuseilen, mit allen Feuerwaffen im Arsenal zu schießen und ausgedehnte Märsche in der sengenden Sommersonne mit einem Zwanzig-Kilo-Rucksack auf dem Rücken zu unternehmen. Darüber hinaus musste er zahlreiche Absprünge aus Flugzeugen absolvieren und viele Meilen durch die Bucht von Calvi schwimmen. Die Fallschirmjäger hielten sich an Nietzsches Grundsatz: »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Wenn er zurückblickte, musste er sagen, dass ihn die Zeit bei den Fallschirmjägern zu dem Mann gemacht hatte, der er heute war.
Einige Monate nach seiner Verbannung nach Korsika erfuhr Louie, dass der General offenbar für seine abrupte Versetzung bezahlen musste. Seine schöne, aber sehr eigensinnige Tochter ließ ihn dafür leiden, dass er sich über ihre Gefühle hinweggesetzt hatte. Sie schrieb Louie unter einem Pseudonym, dass sie nach Paris gezogen sei und kein Wort mehr mit ihrem »Diktator von einem Vater« sprechen würde. Wenn Louie einmal mehr als zwei Tage Urlaub bekam, was selten genug der Fall war, so besuchte er sie in ihrem neuen Zuhause.
Er hatte jedoch inzwischen so etwas wie eine Heimat bei den Fallschirmjägern gefunden, und so sehr er Claudia auch vermisste, kam es für ihn doch nicht infrage, diese Eliteeinheit zu verlassen. In den nächsten vier Jahren reiste er um den gesamten Erdball, von einem Krisengebiet zum nächsten. Er entwickelte seine Fähigkeiten ständig weiter und stellte fest, dass er sehr gut darin war, feindliche Soldaten zu töten. Er und Claudia blieben in Kontakt, doch als sie an die Universität kam, begannen sie sich voneinander zu entfernen. Ihre neuen Freunde, ein Haufen Möchtegernrevolutionäre, verachteten alles, was mit dem Militär zu tun hatte, und Louie wiederum tat sich schwer, sich mit Menschen abzugeben, die keine Ahnung hatten, welche Opfer ein Berufssoldat erbrachte. Er erwartete keine Dankbarkeit, aber er konnte nicht akzeptieren, dass man ihn für das, was er tat, auch noch verachtete.
Und so kam es an einem langen Wochenende in Paris, an dem viel zu viel Alkohol und zu wenig Sex im Spiel war, zum unvermeidlichen Bruch. Es war unübersehbar, dass ihre tiefe Liebe zu ihm im Schwinden war. Sie war ein anderer Mensch geworden und gehörte einer Clique an, die eine radikale Ablehnung des Establishments verfocht. Der Anführer dieser Gruppe war offensichtlich versessen darauf, sich zwischen Claudia und Louie zu drängen.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, bestand darin, dass der Typ seinen Arm um Claudia legte und sich mit einem Glas Wein und der Clove-Zigarette in der Hand an Louie wandte. »Stimmt es eigentlich«, fragte er, »dass Homosexualität unter euch Legionären so verbreitet ist, wie man es immer hört?«
Die Bemerkung war auch so schon schlimm genug, aber dass Claudia auch noch darüber lachte, war mehr, als er ertragen konnte. Der Schlag war nicht allzu hart, aber gut gezielt. Er brach dem Idioten die Nase, sodass ihm das Blut über den Mund strömte. Die Sache hätte damit beendet sein können. Er hatte Claudia nichts mehr zu sagen. Ihre Gegenwart allein schon widerte ihn an. Er wollte schon gehen, als ihm irgendeiner dieser Idioten auf den Rücken sprang. Wie bei den meisten Schlägereien in irgendeiner Kneipe wusste man hinterher nicht so recht, was eigentlich geschehen war. Ellbogen stießen zu, Finger wurden gebrochen und Nasen blutig geschlagen. Louie landete im Gefängnis und fünf von Claudias Freunden im Krankenhaus.
Nach diesem Vorfall versicherte sie ihm, dass sie ihn nie wieder sehen wolle. Er fragte, ob das ein Versprechen sei, worauf sie mit einer Tirade gegen die Fremdenlegion begann. Er hörte kaum zu, und als sie fertig war, erwiderte er in ruhigem Ton, dass er hoffe, sie könne ihre sture Protesthaltung eines Tages überwinden und einsehen, dass ihr Vater sie liebte. Es sollte Jahre dauern, bis sich ihre Wege wieder
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