Der Feind
Diplomaten, die dieses Geschäft nachweislich schon zur Zeit des Putsches von Louis Napoleon im Jahr 1851 ausübten. Fünf Generationen von männlichen Mitgliedern der Familie hatten die École Polytechnique besucht, jene naturwissenschaftlich-technische Hochschule, in der junge Franzosen nicht nur den Offiziersstatus erlangten, sondern auch auf Spitzenfunktionen im französischen Staat oder in der Wirtschaft vorbereitet werden. Nachdem Louie drei Schwestern, aber keinen Bruder hatte, ruhten die Hoffnungen seiner Eltern auf eine Fortsetzung der stolzen Familientradition allein auf seinen Schultern, und er freute sich auch wirklich darauf, einmal in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.
Louie verbrachte seine halbe Jugend im Ausland, während sein Vater auf der diplomatischen Karriereleiter nach oben stieg. Wichtige Stationen waren Französisch-Guyana, New York, London, Berlin und Washington, wo sein Vater als französischer Botschafter in den Vereinigten Staaten tätig war. Es war ein interessantes, aufregendes Leben, das sie führten. Louie genoss jede Minute davon und eignete sich auch stets die Sprache und Kultur des Landes an, in dem sie gerade lebten. Er selbst konnte sich nichts vorstellen, was er einmal lieber tun würde, als das Leben eines Diplomaten zu führen.
Das alles änderte sich mit einem Schlag, als er erfuhr, dass sein Vater seine Mutter schamlos betrog. Mit siebzehn rebellierte er gegen den Mann, den er sein Leben lang so verehrt hatte. Als Louie von der Untreue seines Vaters erfuhr, bewarb er sich heimlich an der Militärakademie École Speciale Militaire de Saint Cyr. Oberflächlich betrachtet schien das kein großer Protest zu sein, doch die Goulds hatten immer schon mit einer gewissen Verachtung auf die französische Armee herabgeblickt. Sie waren Berufsdiplomaten durch und durch und hegten die Überzeugung, dass die meisten, wenn nicht alle großen Misserfolge Frankreichs in den vergangenen beiden Jahrhunderten die Schuld der Armee waren.
Als sein Vater von seinem Entschluss erfuhr, war er außer sich vor Empörung, aber nachdem sein jüngstes Kind nun volljährig war, konnte er nichts dagegen tun. Als Louie nach Saint Cyr ging, verschlechterte sich die Beziehung zwischen seinen Eltern noch mehr. Nachdem das Geheimnis gelüftet war, gab sich sein Vater überhaupt keine Mühe mehr, seine Beziehungen mit anderen Frauen zu verbergen. Seine Mutter, eine stolze und tief religiöse Frau, zog sich immer mehr hinter die Mauern des Familiensitzes in Südfrankreich zurück. Während seines letzten Jahres in Saint Cyr nahm sich Louies Mutter das Leben, was die Familie förmlich ihrer Seele beraubte. Louie war am Boden zerstört und gab seinem Vater die alleinige Schuld am Tod seiner Mutter, und er beschloss, nie wieder ein Wort mit dem Mann zu sprechen.
Sie hielt ihm ihr Glas hin, während er einschenkte. »Haben sie versucht, dir zu folgen?«, fragte sie.
»Nein.«
Sie runzelte die Stirn. »Warum warst du dann so lange weg?«
»Reine Vorsichtsmaßnahme.« Er füllte sein Glas und setzte sich neben sie auf das ramponierte Sofa.
»Herr Abel … hat er sich in die Hosen gemacht, als er dich in seinem Hotelzimmer sah?«
»Er war ruhiger, als ich gedacht habe.« Louie erhob sein Glas. »Auf den Job, der vielleicht unser letzter ist.«
Sie war sich nicht sicher, ob ihr sein Tonfall gefiel, und so ließ sie das Glas unten und musterte ihn mit ihren durchdringenden Augen. Er streckte ihr sein Glas noch ein Stück weiter entgegen, und sie gab schließlich nach und stieß mit ihm an.
Die beiden hatten sich kennengelernt, als Claudia Morrell gerade achtzehn Jahre alt war. Er war damals ein einundzwanzigjähriger Leutnant in der Französischen Fremdenlegion, als er sie in einem Dorf namens Aubagne zum ersten Mal sah. Er verliebte sich fast augenblicklich in sie, und in den folgenden zwei Monaten entwickelte sich eine recht stürmische romantische Beziehung, bis er eines Tages Anfang Juli zu seinem befehlshabenden Offizier gerufen wurde. Es stellte sich heraus, dass Claudia die Tochter eines gewissen Colonel Morrell war, eines hoch dekorierten Legionärs. Der Colonel war gerade von einem sechsmonatigen Einsatz in Bosnien zurückgekehrt und zum Brigadegeneral befördert worden. Wie es schien, war der General ganz und gar nicht einverstanden damit, dass jemand unter seinem Kommando versuchte, seiner geliebten Tochter die Unschuld zu rauben.
Goulds Versetzung zum Zweiten Fallschirmregiment auf die Insel
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