Der feine Unterschied
Elfer ist unsere Sicherheit, unsere Präzision, unser Selbstvertrauen flöten gegangen. Sicherheit geht dann verloren, wenn die Mannschaft sehr viel investiert und das Ergebnis nicht stimmt.
Wir sind kaum auf dem Platz, und schon rennt uns Gladbach über den Haufen. Es geht zackzack, und der Gegner fuhrt 3:2, dabei wissen wir, dass wir unbedingt gewinnen müssen, und dieses Wissen belastet uns und macht jede einzelne Entscheidung schwer und holzig, sodass unser Spiel die ganze Leichtigkeit und Souveränität verliert, die uns in der ersten Halbzeit beflügelt haben.
Am Schluss des Spieles müssen wir froh sein, dass uns ein paar Minuten vor Schluss noch der Ausgleich gelingt. Aber das Unentschieden fühlt sich wie eine Niederlage an. Diesen Ballast nehmen wir ins nächste Spiel mit. Daran ändert das beste Training, die sorgfältigste Betreuung nichts. Um leicht und souve-rän gewinnen zu können, musst du souveräne Siege hinter dir haben. Erfolg kommt vom Gewinnen, und Sicherheit kannst du nicht simulieren. Ich gebe zu, dass ich in diesen Wochen mit einigem Neid nach Dortmund geschaut habe, wo ein Erfolg wie zwangsläufig in den nächsten mündete.
Dabei weiß ich sehr genau, wie großartig es sich anfühlt, Spiele, die man schon verloren hat, doch noch zu gewinnen -es ist erst eine Saison her.
Am 7. April 2010, in der ersten Van-Gaal-Saison spielen wir in Manchester gegen United unser zweites Viertelfinalspiel der Champions League. In München haben wir 2:1 gewonnen. Die Ausgangsposition ist also okay, wenn auch nicht brillant, denn Manchester reicht ein 1:0, um uns aus dem Wettbewerb zu schmeißen.
Wir laufen in Old Trafford auf, aber »laufen« ist das falsche Wort. Wir schlafen noch, als der Schiedsrichter das Spiel anpfeift, sieben Minuten später steht es 2:0 für Manchester. Wir sind draußen. Wir treffen, wie der Trainer es nennt, keinen Ball, und als Nani kurz vor der Pause das 3:0 macht, hätte kein Buchmacher mehr Wetten auf Manchester United angenommen, zu klar war die Angelegenheit. Aber dann macht Ivica Olic, einer unserer leidenschaftlichsten Spieler, aus dem Nichts das 1:3, und plötzlich sind wir nur noch ein Tor von unserem Ziel entfernt, ins Halbfinale der Champions League aufzusteigen. Nur ein Tor. Wir sind der FC Bayern, ein Tor können wir jederzeit machen.
Diese Zwischenbilanz ziehen wir auch in der Pause. Okay, wir haben desolat gespielt, aber es ist nur ein Tor, das uns fehlt.
Zu diesem Zeitpunkt steht diese simple Erkenntnis auf einem Fundament aus Selbstvertrauen. In der Bundesliga haben wir Wochen hinter uns, in denen wir großartigen Fußball abgeliefert haben. Mit Arjen Robben und Franck Ribery stehen zwei der besten Flügelspieler der Welt in unserer Mannschaft, die mit ihren individuellen Fähigkeiten jederzeit ein Tor erzielen können. Und Manchester muss zunächst einmal verkraften, dass der Aufstieg, der nach dem 3:0 so gut wie sicher war, plötzlich noch einmal erarbeitet werden muss. Wir liegen also 1:3 im Rückstand, aber wir wissen, wenn wir kompakt spielen, wenn wir zäh sind und unsere Chancen leidenschaftlich nutzen, dann haben wir noch eine gute Chance.
Aufgeladen bis unter die Schädeldecke kommen wir zurück aufs Spielfeld. Das Spiel beginnt noch einmal von vorn.
Nach fünf Minuten geht Franck Ribery ins Dribbling gegen Rafael, der reißt ihn am Trikot nieder. Der Brasilianer hat schon in der ersten Halbzeit eine gelbe Karte für ein fieses Foul an Mark van Bommel gesehen, also fliegt er jetzt völlig zu Recht vom Platz. Noch vierzig Minuten zu spielen, wir sind elf, sie sind zehn, und wir brauchen nur ein Tor. Alex Ferguson nimmt Wayne Rooney aus dem Spiel, um hinten zuzumachen.
Es klingt vermessen, aber in diesem Augenblick weiß ich, dass wir nicht ausscheiden werden. Unsere Mannschaft hat ein verdammt gutes Positionsspiel, was in Überzahl ein echter Trumpf ist, und an den Flanken sind Arjen und Franck permanent für eine Überraschung gut.
Die Sicherheit bei Manchester ist weg. Die Mannschaft, in der blendende Einzelspieler stehen, steht unter Schock. Statt den Sack zuzumachen und in die nächste Runde zu tänzeln, müssen sie noch einmal alle Kräfte mobilisieren, um uns nicht auf Touren kommen zu lassen. Aber dafür reicht es nicht. Wir übernehmen das Kommando, spielen mit voller Konzentration nach vorne, zeitweise sieht es so aus, als würden wir um den
Strafraum von Manchester Handball spielen, so tief steht der Gegner in seiner Hälfte.
Wir
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