Der feine Unterschied
4-4-2-System gespielt, mit Klose und Podolski bzw. Klose und Gomez als Duo im Sturm. Jetzt wechselt der Trainer das System auf 4-5-1. Miro Klose bleibt als Sturmspitze gesetzt, für den zweiten Stürmer kommt Basti Schweinsteiger in die Mannschaft. Basti war bei der Niederlage gegen Kroatien eingewechselt worden und hatte in der 90. Minute gelb-rot bekommen, sodass er gegen Österreich gesperrt war. Er war stinksauer auf sich selbst und brennt darauf, sich auf dem Platz zu rehabilitieren.
Die Verteidigung besteht jetzt aus Arne Friedrich rechts, Metzelder und Mertesacker innen und mir auf der linken Position. Im Mittelfeld stehen Frings, Hitzlsperger und Ballack in
der Mitte, Podolski links und Schweinsteiger rechts. Klose ist die einzige Spitze.
Am Tag vor unserem Viertelfinale hat die Türkei in einem denkwürdigen Spiel Kroatien nach Elfmeterschießen geschlagen. Der Sieger aus Portugal-Deutschland trifft also auf die Türkei, und in den Zeitungen steht, dass in unserem Viertelfinale bereits über die Finalteilnahme entschieden wird. So ein Quatsch, aber irgendwie setzt sich dieser Floh in unsere Ohren.
Portugal gilt als Favorit, und es erweist sich schnell, dass uns diese Rolle liegt. Wir lassen die portugiesischen Künstler kommen und sehen, dass sie mit dem Spielaufbau überfordert sind. In der Abwehr stehen wir gut und sind hellwach, wir lassen keine größeren Chancen des Gegners zu. Unser Konterspiel funktioniert wie am Schnürchen. Zuerst kommt Podolski nach zwei Doppelpässen links durch und legt den Ball scharf und schnell in die Mitte, wo Basti mit vollem Tempo ankommt und das 1:0 macht. Dann köpft Miro Klose einen Freistoß von Schweinsteiger ins Tor, und nach einer halben Stunde liegen wir 2:0 in Führung. Zum ersten Mal bei dieser EM liefern wir richtig guten Fußball ab.
Geht doch, denke ich. Die ganze Mannschaft denkt: Geht doch.
Kurz vor der Pause verkürzt Portugal jedoch auf 1:2 und nimmt den Schwung dieses Tors in die zweite Halbzeit mit. Aber mitten in einer echten Drangperiode des Gegners bekommen wir nach einem Entlastungsangriff einen Freistoß zehn Meter außerhalb des portugiesischen Strafraums. Basti hebt den Ball wie schon in der ersten Halbzeit perfekt in den Fünfmeterraum, der Torhüter der Portugiesen läuft vogelwild im Strafraum herum, und diesmal ist es Balle, der den Ball per Kopf ins Tor lenkt.
3:1.
Diese Führung will die Mannschaft nicht mehr aus der Hand geben. Die Mannschaft, ja, eine Mannschaft. Heute stehen wir gut. Heute gibt jeder, was er hat. Da ist eine Temperatur, ein Feuer. Jeder spürt sich selbst und die anderen. Die Mannschaft verströmt eine Aura der Entschlossenheit.
Als Portugal vier Minuten vor Schluss den Anschlusstreffer erzielt, könnte es noch einmal eng werden, aber wir beginnen nicht ernsthaft zu wackeln. Die letzte echte Chance im Spiel haben in der Nachspielzeit wir. Podolski verlädt nach einem Konter wie aus dem Lehrbuch den Rest der portugiesischen Defensive, bringt den Ball aber nicht mehr am Torwart vorbei. Egal. Der Schiedsrichter pfeift ab. Wir stehen im Halbfinale.
Plötzlich zeigt der Euphoriepegel unserer Mannschaft wieder ruckartig nach oben. Erfolg ist ein erstaunliches Medikament gegen schlechte Stimmung und interne Probleme.
Aber was dann passiert, ist ein Phänomen, das nur auftreten kann, wenn die psychischen Verhältnisse einer Mannschaft nicht stabil sind: Niemand vertraut dem Frieden wirklich. Tags darauf ist trotz überragender Kritiken in den Zeitungen schon wieder die Luft draußen. Was, wenn die brillante erste Halbzeit gegen Portugal die berühmte Ausnahme von der Regel war? Ein Strohfeuer? Zu klar steht uns vor Augen, dass wir uns bis auf dieses eine Spiel bloß durch die EM gemogelt haben. Statt die Euphorie mit ins Halbfinale gegen die Türkei zu nehmen, lassen wir zu, dass sich bei vielen von uns die Zweifel zurückmelden, ob wir wirklich so gut sind, wie wir in der letzten Partie gespielt haben.
Die Dynamik dieses Turniers ist merkwürdig genug. Nach den Unstimmigkeiten zu Beginn finden wir uns jetzt vor einer lösbaren Aufgabe. Klar hat die Türkei gute Spiele gemacht. Sie hat vor allem eine überragende Moral bewiesen, als sie zweimal in den allerletzten Minuten ein verloren geglaubtes Spiel noch drehte.
Im letzten Gruppenspiel gegen Tschechien, den direkten Gegner um den Aufstieg ins Viertelfinale, schoss Nihat Kahveci von Villarreal in der 87. und 89. Minute zwei Tore zum 3:2-Sieg, der den Aufstieg
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