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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Senlis und Beauvais, in denen die rot-blaue Volkspartei dominierte, sympathisierten
mit den Jacques und versorgten sie mit Nachschub und öffneten ihnen die Stadttore. Viele Bürger schlossen sich den Bauern an. In Beauvais wurden einige Adlige, die die Bauern als Gefangene in die Stadt geschickt hatten, mit Zustimmung des Bürgermeisters und des Magistrats hingerichtet. Amiens veranstaltete Gerichtsverfahren, in denen Adlige des Gebiets in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurden.
    Andere Städte wie Compiègne weigerten sich, die Adligen, die in ihren Mauern Zuflucht gesucht hatten, an die Bauern auszuliefern. Den späteren Gnadenerlassen nach zu urteilen, haben sich einzelne Bürger, Schlachter, Wagenmacher, Offiziere, sogar Priester an den Beutezügen der Jacques beteiligt. Sogar Männer des Adels erscheinen in den Listen der Begnadigten, aber ob sie aus Überzeugung, Beutegier oder Abenteuerlust mit den Bauern gekämpft haben, ist ungewiß. Ritter, Knappen oder auch Schreiber, die angeklagt waren, Gruppen von aufständischen Bauern angeführt zu haben, beriefen sich häufig darauf, von ihnen in ihre Dienste gepreßt worden zu sein, was auch richtig gewesen sein mag, weil die Bauern unter dem Mangel an militärischen Führern sehr litten.
    Als sich die Wut der Bauern mehr und mehr gegen alle Landbesitzer entlud, gaben die Jacques auf die Frage, warum sie das taten, die Antwort, »daß sie es nicht wüßten, aber andere das gleiche tun gesehen hätten und glaubten, so den Adel und die Besitzenden der ganzen Welt ausrotten zu können, so daß es keine mehr gäbe«. Ob die Bauern nun wirklich eine Welt ohne Adlige ins Auge gefaßt hatten oder nicht, der Landadel glaubte es und spürte den heißen Atem des Todes im Nacken. Von dem Schrecken gepackt, den die Masse ausstrahlt, wenn sie sich der Autorität entzieht, riefen die Adligen die Ritter von Flandern, Hainault und Brabant um Hilfe an.
    In einem für Marcel kritischen Moment schien ihm das Wüten der Jacquerie eine weitere Waffe zu bieten. Diese Waffe war zweischneidig, denn als er sie in einem verhängnisvollen Entschluß ergriff, verlor er die Unterstützung der besitzenden Klasse. Auf seine Anstiftung hin wurden die Landgüter der verhaßten königlichen Räte zum Ziel einer Bande von Jacques, die von zwei Kaufleuten
aus Paris befehligt wurden. Die Besitzungen des königlichen Kämmerers, Pierre d’Orgement, und jener unermüdlichen Gauner Simon de Buci und Robert de Lorris wurden geplündert und zerstört. Eine Gruppe von Bauern und Bürgern stellte Robert de Lorris in seinem Schloß von Ermenonville, einem der vielen Geschenke, das der Eigentümer königlicher Gunst verdankte. Sie zwang ihn, auf den Knien dem Adel abzuschwören und der Gemeinde von Paris Treue zu geloben.
    Durch Mord und Vernichtung um seinen Ruf gebracht, versuchte Marcel, den Tiger zu reiten. Das nächste Ziel der aus Paris gesteuerten Bande wurde die königliche Familie in Meaux. Die Jacques marschierten die Marne entlang und hatten unterwegs so viel Zulauf, daß der Haufe, der Meaux am 9. Juni »mit dem Willen, Böses zu tun«, erreichte, »neuntausend« Personen zählte. Der Bürgermeister und die Magistraten von Meaux, die dem Dauphin die Treue geschworen und ihm gelobt hatten, sich gegen jede »Entehrung« seiner Familie zur Wehr zu setzen, wichen vor den Invasoren zurück. Entweder aus Furcht oder aus Sympathie mit den Jacques öffneten sie die Stadttore und setzten Tische mit Servietten und Brot, Fleisch und Wein an die Straßen. Bald darauf ergoß sich die schreckenerregende Horde in die Straßen der Stadt und erfüllte sie mit »wildem Geschrei«, während Frau, Schwester und Tochter des Dauphins mit dreihundert anderen Damen in der Festung zitterten, denn sie wurden von einer nur kleinen Gruppe von Rittern bewacht. [Ref 142]
    In diesem Moment galoppierte die fahrende Ritterschaft in Gestalt jenes glänzenden Freundespaars, des Hauptmanns de Buch und Gaston Phoebus, Graf von Foix, zu Hilfe. Obwohl der eine England und der andere Frankreich die Treue geschworen hatte, ritten sie gemeinsam von einem »Kreuzzug« in Preußen nach Hause zurück. Keiner von beiden war ein Freund der Valois, aber Damen in Not waren jedem Ritter heilig, und diese beiden aus dem Süden hatten keinen Anteil an der Lähmung, die den Adel aus dem Norden angesichts des Aufstands der Bauern befallen hatte. Zudem war keiner von beiden in die schändliche Niederlage von Poitiers verwickelt gewesen. Als sie von

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