Der ferne Spiegel
Es ist gesagt worden, daß »Baden in den unteren Klassen selbstverständlich war . . . Sogar kleine Dörfer hatten Badehäuser.« Andererseits klagten die französischen Zeitgenossen unablässig, der Bauer sei dreckig und stinke. Die englischen Chronisten sind sich einig, daß es dem englischen Bauern besser gehe als dem französischen, und sie erwähnen häufig, daß die französische Landbevölkerung kein Fleisch zu essen habe; in anderen Chroniken heißt es, der Bauer ernähre sich von Schweinefleisch und Geflügel, von Eiern, Fisch, Käse, Bohnen, Erbsen, Zwiebeln, Knoblauch und Früchten, von Roggenbrot und Honig, er trinke Bier und Apfelwein.
Für das Elend dagegen, in dem zumindest die Masse der französischen Bauern dieser Zeit lebte, spricht die Erzählung Merlin Merlot , in der ein Bauer ausruft: »Mein Gott, was soll aus mir werden? Ich habe nie auch nur einen Ruhetag. Erholung und Ruhe werden mir wohl auf ewig fremd bleiben . . . Die Geburtsstunde des Villein ist hart; wenn er geboren wird, wird das Leid mit ihm geboren. « Seine Kinder hungern und strecken ihm ihre bittenden Hände entgegen, während sein Weib ihn als schlechten Ernährer beschimpft. »Ich bin wie ein durchnäßter Hahn im Regen, mit hängendem Kopf und heruntergekommen, ein geschlagener Hund.« [Ref 140]
Schwer trug der Bauer an der Verachtung, mit der ihm die anderen Klassen begegneten. Auch die Erzählungen und Balladen der Zeit beschreiben ihn fast ausnahmslos als aggressiv, unverschämt, gierig, mürrisch, mißtrauisch, häßlich, dumm und immer unzufrieden. So wird die Anekdote überliefert, daß die Seele eines Bauern im Paradies keinen Platz fand, weil die Engel sie wegen ihres Gestanks nicht begleiten mochten. Die Adligen brauchten die Bezeichnungen Jacques oder Jacques Bonhomme, weil der Bauer zu Kriegszeiten im Kampf nichts weiter als einen dickgefütterten Kittel trug, der »jacque« genannt wurde. Sie betrachteten ihn als ein Wesen von unedlen Instinkten, dem nicht zu trauen war. Ein Sprichwort sagte: »Schlag einen Bauern, und er wird dich segnen, segne einen Bauern, und er wird dich schlagen!«
Zumindest der ritterlichen Theorie nach sollte der Besteller der Erde von Plünderungen und gewaltsamen Übergriffen verschont bleiben. Aber nirgendwo spottete die mittelalterliche Realität der Theorie mehr als in diesem Bereich. Die Verpflichtung zur Ritterlichkeit galt nur innerhalb der eigenen Schicht. Die Überlieferungen erzählen von Bauern, die gekreuzigt, geröstet, hinter Pferden hergeschleift wurden. Es gab Prediger, die auf das Los des Bauern hinwiesen und anerkannten, daß er zum Wohle aller arbeitete und von seinen Aufgaben oft überfordert war. Sie riefen den Adel zu mehr Mitleid und Achtung auf, aber auch sie konnten dem Opfer nicht mehr als Geduld, Gehorsam und Ergebenheit anraten.
1358 erreichte das Elend der Bauern seinen Höhepunkt. Die Briganten beraubten sie ihres Saatgutes, ihres Viehs, ihrer Wagen und ihrer Werkzeuge und Pflüge, um Waffen daraus zu schmieden. Trotzdem bestand der Adel weiterhin auf den vereinbarten Abgaben, Steuern und zusätzlichen Beiträgen zu den hohen Lösegeldzahlungen und »unternahm dennoch kaum etwas, um die Vasallen vor Angriffen zu schützen«. Die einfachen Leute »stöhnten«, schrieb Jean de Venette, »wenn sie sahen, wie die Gelder, die sie mühsam zu Kriegszwecken aufgebracht hatten, in Unterhaltung und Luxus verschwendet wurden«. Zugleich hatten die Bauern seit den Niederlagen von Crécy und Poitiers viel von ihrer Furcht vor den Rittern verloren. Vor allem aber sah der Bauer die Austauschbarkeit von Ritter und Brigant. Wenn ein Adliger die Lösegeldforderung einer Kompanie nicht erfüllen konnte, diente er häufig ein oder zwei Jahre in den Reihen der Gesetzlosen: »So leicht war es, aus einem Herren einen Räuber zu machen.« Kein Revolutionsplan, sondern der reine Haß entzündete den Bauernaufstand, die Jacquerie. [Ref 141]
Am 28. Mai 1358 hielten einige Bauern nach der Vesper in dem Dorf St. Leu nahe Senlis eine Protestversammlung auf dem Kirchhof ab. Sie gaben den Adligen die Schuld an ihrem Elend und an der Gefangennahme des Königs, »die alle Herzen bekümmerte«. Was hatten die Ritter und ihre Männer unternommen, um ihn zu befreien? Wozu waren sie gut außer zur Unterdrückung armer Bauern? »Sie haben das Königreich beschämt und geschändet, es wäre
gut, wenn sie alle vernichtet würden.« Die Zuhörer schrien: »Das ist die Wahrheit. Das ist die
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