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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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blickte auf eine fruchtbare Landschaft hinaus. Von dem Chronisten Corio wurde sie mit patriotischem Stolz als »der erste Palast der Welt« bezeichnet, und ein späterer Bewunderer nannte sie »die schönste Wohnstätte in Europa«. Die Burg war aus rosarotem Ziegel, gebrannt aus lombardischem Lehm, erbaut und besaß hundert Fenster, die einen prächtigen Innenhof umrahmten. Petrarca, mit dem sich der Hof der Visconti acht Jahre lang schmückte, beschrieb die Krone von Türmen, die »sich bis in die Wolken erhoben«; von ihnen aus konnte man »in der einen Himmelsrichtung bis zu den schneebedeckten Kämmen der Alpen blicken und in der anderen bis zu den waldigen Apenninen«. [Ref 197]
    Galeazzo war ein weniger melodramatischer Tyrann als sein Bruder. Er war nüchtern in seinem Lebenswandel und verehrte seine Frau, die »gute und sanfte« Blanche von Savoyen. Sein goldrotes Haar trug er lang in Zöpfen »oder ließ es manchmal lose oder in einem seidenen Netz oder mit Blumen geschmückt auf die Schultern fallen«. Er litt schwer an der Gicht – der »Krankheit der Reichen«, wie sie vom Grafen von Flandern genannt wurde, der auch eines ihrer Opfer war.
    Die Hochzeit des Lionel von England und der Violante Visconti sollte in Mailand gefeiert werden, der führenden Stadt der Lombardei und binnenländischen Rivalin von Venedig und Genua. Als Handelszentrum südlich der Alpen hatte Mailand seit eintausend Jahren Norditalien dominiert. Zu seinen wunderbaren Sehenswürdigkeiten, berichtete ein Mönch des vorausgehenden Jahrhunderts, gehörten sechstausend Trinkwasserbrunnen, dreihundert öffentliche Öfen, zehn Hospitäler – das größte konnte tausend Patienten, zwei je Bett, aufnehmen –, eintausendfünfhundert Rechtsgelehrte, vierzig Schreiber, zehntausend Mönche aller Orden und hundert
Waffenschmiede, die die berühmten Mailänder Rüstungen herstellten. In der Mitte des 14. Jahrhunderts beklagten Chronisten das Schwinden der guten alten Zeit und die dekadenten Sitten. Männer wurden in den Schriften dafür gerügt, daß sie extravagante Kleidung, vor allem die sehr engen Gewänder »nach spanischer Manier«, trügen, gewaltige Sporen wie die Tataren anlegten und sich nach französischer Mode mit Perlen schmückten. Den Frauen warf man ihre künstlichen Locken und Kleider vor, die die Brüste entblößten. Mailand hatte so viele Prostituierte, sagte man, daß Bernabò sie besteuern ließ, um mit den Einkünften die Stadtmauern instand zu halten.
    Als er in Mailand ankam, wurde Lionel neben seinem eigenen Gefolge von eintausendfünfhundert Söldnern der Weißen Kompanie geleitet, die aus den Diensten des Papstes in die der Visconti übergewechselt war. Achtzig gleichgekleidete Damen in goldverzierten scharlachroten Gewändern mit weißen Ärmeln und goldenen Gürteln und sechzig Ritter und Pagen, ebenfalls gleichgekleidet, ritten ihm im Gefolge von Galeazzo entgegen, um ihn zu begrüßen. Zusätzlich zur Aussteuer seiner Tochter, die so umfangreich war, daß zwei Jahre lang um sie verhandelt wurde, zahlte Galeazzo im Monat 10 000 Florins, und das fünfeinhalb Monate lang, für den Unterhalt des Bräutigams und seines Gefolges.
    Das gewaltige Hochzeitsessen, im Freien eingenommen, da es im Juni stattfand, verschlug allen Chronisten die Sprache. Die Absicht hinter dem Pomp war, die »Großzügigkeit des Herzogs Galeazzo und seiner Seele, die volle Befriedigung, die er an dieser Partie fand, und den Überfluß seiner Schatzkammern« zu manifestieren. Dreißig Gänge Fleisch und Fisch wechselten mit der Vorführung der Geschenke nach jedem Gang. Unter der Leitung des Bruders der Braut, Gian Galeazzo des Jüngeren, der zu der Zeit siebzehn war und Vater einer zweijährigen Tochter, wurden die Geschenke dem Rang entsprechend unter Lionels Gefolgschaft verteilt. Sie bestanden aus wertvollen Kettenhemden, prachtvollen Helmen, Rüstungen für Pferde, Übermänteln, die mit Juwelen besetzt waren, Windhunden mit Samthalsbändern, Falken, die Silberglöckchen um den Hals trugen, Flaschen wertvollen Weins, purpurnen und goldenen Stoffen und Mänteln, besetzt mit Hermelin und Perlen,
76 Pferden, darunter sechs mächtigen Kriegsrossen in rotem Samt und mit Goldrosetten, sechs grimmigen Kriegshunden (die manchmal mit brennenden Pechtiegeln auf dem Rücken gegen den Feind geschickt wurden) und zwölf fetten Ochsen.
    Alles Fleisch und aller Fisch wurden vergoldet aufgetragen; es gab Ferkel mit Krebsen, Hasen mit Hecht, ein ganzes

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