Der ferne Spiegel
auffallender Gast war Enguerrands Vetter (und der Onkel der Braut) Amadeus VI. von Savoyen, der »der grüne Graf« genannt wurde, weil er in seiner Jugend auf Turnieren immer in grüner Rüstung auftrat, mit grünen Federn am Helm, grüner Satteldecke und gefolgt von elf Rittern, die alle ganz in Grün gekleidet waren. Amadeus ließ sich in Sachen Prunk von niemandem übertreffen. Einmal in Paris, ging der »grüne Graf« auf einen Einkaufsbummel und hinterließ Aufträge für Juwelenhalsketten, Tafelmesser, Stiefel, Schuhe, Helmbüsche, Sporen und Strohhüte. Er schenkte dem König eine Miniaturkapelle aus Rubinen und Perlen, die 1000 Florins wert war. [Ref 195]
Festessen, Tänze und Spiele in St. Pol und im Louvre füllten die Tage von Lionels Besuch. Der Herzog von Burgund gab ein Bankett, das ihn 1556 Pfund kostete. Als der Herzog von Clarence Paris verließ, präsentierte ihm der König Geschenke im Wert von geschätzten »20 000« Florins. Diese maßlosen Schenksitten zielten darauf, den Status des großzügigen Gebers zu erhöhen, der Empfänger seinerseits konnte die Geschenke verpfänden und auf die Weise schnell an Bargeld kommen.
Aber der Gipfel des Pomps wartete in Mailand. Eine Tochter des französischen Königs für seinen Sohn und nun einen Sohn des Königs von England für seine Tochter gekauft zu haben, war ein doppelter Triumph für Galeazzo Visconti und ein weiteres Wunder in der Geschichte der berüchtigten »Vipern« von Mailand – so genannt nach ihrem Familienwappen, das eine Schlange zeigt, die einen Menschen, angeblich einen Sarazenen, verschlingt. Zwei Visconti herrschten gemeinsam über die Lombardei – Galeazzo und sein noch gefürchteterer Bruder Bernabò. Mordlust, Grausamkeit, Habgier und eine fast manische Sexualität
waren die beherrschenden Züge der Familie, die die Lombardei mal fähig und effektiv, mal in wilder Despotie beherrschte. Lucchino, der Vorgänger der Brüder, war von seiner Frau ermordet worden, die sich nach einer bemerkenswerten Orgie, auf der sie mehrere Liebhaber, darunter den Dogen von Venedig und ihren Neffen Galeazzo, gleichzeitig unterhielt, entschieden hatte, ihren Gatten zu beseitigen, um derselben Absicht von seiner Seite gegen sie zuvorzukommen. Die Ausschweifungen von Matteo, dem älteren Bruder von Galeazzo und Bernabò, erreichten ein Maß, das die Herrschaft der Visconti gefährdete. Er wurde von seinen Brüdern 1355 beiseite geschafft und starb angeblich »wie ein Hund ohne Beichte«.
Krieg gegen den Papst – sie hatten dem Heiligen Stuhl Bologna und andere Lehen entrissen – war die Hauptbeschäftigung der Visconti. Als er im Laufe des Krieges vom Papst exkommuniziert wurde, zwang Bernabò den Legaten, der die Exkommunikationsbulle überbrachte, sie einschließlich Seidenband und Bleisiegel aufzuessen. Angeblich ließ er einmal aus bloßer Bösartigkeit gegen die Kirche vier Nonnen und einen Mönch in einem eisernen Käfig rösten. [Ref 196]
Gierig, hinterlistig, grausam und wild, tobsüchtig und mit einem makabren Sinn für Humor, war Bernabò der Inbegriff des zügellosen Aristokraten. Wenn einer seiner fünfhundert Jagdhunde in schlechter Verfassung war, ließ er den Aufseher hängen, mit Wilderern machte er genauso wenig Umstände. Die Quaresima , ein Vierzig-Tage-Folterprogramm, das die Brüder angeblich bei ihrer Thronbesteigung als Warnung wie einen Erlaß herausgaben, war ein so grauenvoller Katalog, daß man hofft, er möge nur zur Abschreckung gedient haben und niemals wirklich angewandt worden sein. In seinen privaten Gewohnheiten war Bernabò »in einem erstaunlichen Grad dem Laster der Wollust ergeben, so daß sein Haushalt eher dem Harem eines Sultans glich als dem Haus eines christlichen Fürsten«. Seine Frau Regina, von der man sagte, daß sie die einzige war, die sich ihm in seinen Wutanfällen nähern durfte, gebar ihm siebzehn Kinder, die Anzahl seiner unehelichen Nachkommen war noch größer. Wenn Bernabò durch die Straßen ritt, waren alle Bürger gehalten, das Knie zu beugen; er pflegte
häufig zu sagen, er sei Gott auf Erden, Papst und Kaiser in seinen Landen.
Bernabò regierte in Mailand, sein Bruder Galeazzo in der alten Stadt Pavia, zwanzig Meilen entfernt. Mehr als hundert Türme, die die Straßen von Pavia verdunkelten, zeugten von den unablässigen Fehden zwischen den italienischen Städten. Galeazzos große quadratische Burg war in die Nordmauer der Stadt hineingebaut, sie war umgeben von weiten Gärten und
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