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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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bettelten, wenn sie keine fanden. Sie hatten jedes soziale
Band zerrissen, lebten in jener klassischen Feindschaft gegen die behördliche Macht, die Robin Hood in seinem Kampf gegen den Sheriff von Nottingham symbolisierte.
    In dieser Zeit wurde die Legende von Robin Hood beim einfachen Volk populär, wenn auch nicht bei den Grundherren und den soliden Kaufleuten des Unterhauses. Diese beklagten bitter, daß Diener und Arbeiter »aus großer Böswilligkeit« ihren Arbeitsplatz verließen, »wenn ihre Herren sie tadeln oder ihnen Bezahlung nach dem Statut anbieten. Dann führen sie ein böses Leben und berauben die Armen der Dörfer in Gruppen von zweien und dreien zusammen.« [Ref 229]
    Um die freien Bauern auf dem Land zu halten, boten die Grundherren viele Konzessionen an, und die Städte hießen die wandernden Handwerker willkommen, um die Lücken, die die Pest geschlagen hatte, zu füllen. Nach Langlands Chronik wurden sie dadurch unabhängig, aufsässig und anspruchsvoll. »Sie halten es für unter ihrer Würde, einen Tag altes Gemüse zu speisen, Pfennigbier ist ihnen nicht gut genug und ein Stück Speck auch nicht«, frisch gebratenes Fleisch oder guter Fisch mußte es sein. Sie schlossen sich zusammen und erlernten die Taktik des Streiks, sammelten Geld für »gegenseitige Verteidigung« und »bildeten Konföderationen, auf daß jeder dem anderen half, mit starker Hand den Grundherren zu widerstehen«. Da wuchs eine zur Revolte gegen die Unterdrückung gerüstete Generation heran.
    Die Wiederkehr des Schwarzen Todes im Jahr 1374/75 in derselben Epidemie, die Coucy veranlaßt hatte, die Lombardei zu verlassen, traf wiederum viele Haushalte und reduzierte das Steueraufkommen. Die wiederholten Ausbrüche der Seuche begannen sich in ihrer kumulativen Todesrate auf den Bevölkerungsrückgang ebenso wie auf die sich verdüsternde Atmosphäre des Jahrhunderts auszuwirken. In der Wahlsteuer von 1379 ist von sechs Dörfern in Gloucestershire überhaupt keine Zahlung überliefert, und noch sechs Jahrhunderte später standen fünf kleine Kirchen, nur eine Tagesreise auseinander, in verlassenem Schweigen im Zentrum von Dörfern, die im 14. Jahrhundert aufgegeben worden waren. Wie immer aber war die Todesrate sehr unterschiedlich, und es gab keinen Mangel an landhungrigen Zweit- und Drittgeborenen,
armen Verwandten und landlosen Pachtbauern, die bereit waren, verwaistes Land zu übernehmen und es zu bebauen.
     
    Neben die soziale trat die religiöse Unruhe, die ihre Stimme in dem Oxforder Theologen und Prediger John Wyclif fand. Durch das Teleskop der Geschichte gesehen, war er der bedeutendste Engländer seiner Zeit. Der Materialismus der Kirche und die Weltlichkeit ihrer Würdenträger wurden überall in Europa beklagt, aber die Kritik war nirgendwo schärfer als in England, wo der Eingriff des ausländischen Papsttums in englische Angelegenheiten die meisten Ressentiments weckte. Wie auch andernorts in Europa gab es eine tiefe Sehnsucht, die Kirche aus ihrer Verweltlichung zu lösen und den Weg zu Gott von all dem Geld, den Honoraren, Donationen und Ablaßzahlungen zu befreien. In Wyclif begegneten einander der politische und der spirituelle Zug des englischen Protestantismus und wurden zu einer Philosophie und einem Programm verschmolzen. [Ref 230]
    Mit seinen 36 Jahren lehrte Wyclif Theologie am Balliol College. Seine ausdrucksstarken Predigten gewannen ihm die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und bestärkten den weitverbreiteten Antiklerikalismus. In der Streitfrage weltliche gegen geistliche Macht führte er die gefährlichen Gedanken des Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham fort und wurde so zum Hauptvertreter des englischen Kampfes gegen die Suprematie des päpstlichen Gesetzes über die Rechtsprechung des Königs sowie gegen die Zahlung von Steuern an das Papsttum. Als Kaplan des Königs in den 1360ern formulierte er Gedanken über das Verhältnis von Kirche und Staat, die der Regierung sehr entgegenkamen. 1374 diente er als Gesandter des Königs in dessen Versuch, zu einer Einigung mit dem Papst zu kommen.
    In dem Jahr, als Coucy nach England kam, nagelte Wyclif, metaphorisch gesprochen, seine These in Form einer Abhandlung an die Kirchentür. Es war De Civili Dominio (Über die weltliche Macht), die nichts Geringeres als die Enteignung aller weltlichen Besitzungen der Kirche und den Ausschluß der Geistlichkeit von der weltlichen Regierung vorschlug. Alle Macht, argumentierte er, war von Gott

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